Jubeln zählte in der diesjährigen Downhill-Saison zu Andreas Kolbs Signature Moves.

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Am Sonntag werden in Wales die Grenzen des Machbaren auf Downhill-Bikes ausgelotet.

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Dreifachsieger und Titelverteidiger Bernhard Kerr stürzte im Training am Donnerstag schwer, blieb aber unverletzt.

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Über den Roadgap ist Andreas Kolb bereits gesprungen.

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"Brutal, einfach nur brutal! Es ist ganz was anderes als im Weltcup." So beschreibt ein fast geschockter Andreas Kolb seine ersten Erfahrungen auf dem legendären Red-Bull-Hardline-Kurs in Wales. Der Schladminger ist im Moment der viertbeste Downhill-Biker der Welt, regierender Downhill-Europameister und hat eine Fabelsaison hingelegt. Nach einer ganzen Reihe von Podestplätzen verpasste er beim letzten Weltcuprennen in Val di Sole seinen ersten Sieg nur ganz knapp. Als Atherton-Continental-Teamfahrer hat Kolb quasi als Belohnung für diese Leistung als erster Österreicher eine Einladung zur Hardline erhalten.

Red Bull Hardline ist kein offizieller Weltcup-Bewerb, sondern ein Rennen, zu dem nur gut zwei Dutzend der weltbesten Mountainbike-Downhiller und -Freerider eingeladen werden. Heuer sind es genau 29, inklusive Jess Blewitt. Die talentierte und unerschrockene Neuseeländerin ist die erste Frau auf der Hardline. Die Strecke gilt als die härteste der Welt, erdacht und gebaut von den Atherton-Brüdern Gee und Dan – Kolbs Arbeitgeber im Weltcupteam. Die Athertons – als Dritte im Bunde ist noch Rachel, die wohl beste Downhillerin aller Zeiten, zu nennen, die seit ihrer Babypause radltechnisch etwas kürzer tritt – sind bekannt dafür, die Grenzen des Machbaren auf vollgefederten Fahrrädern auszuloten.

Größer, schneller, weiter

Die Hardline ist das Produkt, das dabei rauskommt, wenn man Dan und seinem Trailbau-Partner Ollie Davey eine Shaper-Crew und ausreichend Geld gibt. Gee ist in der Regel dann derjenige, der unter Einsatz seiner Gesundheit ausprobiert, ob das, was sein Bruder gebaut hat, wirklich fahrbar ist.

Wie hoch das Niveau ist, auf dem sich die Athertons bewegen, erfährt Kolb derzeit aus erster Hand. Der Kurs wurde heuer im Mittelteil, wo der große Hipjump war, verändert, erzählt er am Freitag, als ihn das TRETLAGER in einer Pause zwischen den Trainingsläufen erwischt hat. Man habe ihn aber nicht etwa entschärft – im Gegenteil, sagt Kolb: "Sie haben noch größere Sprünge von knapp 30 Metern eingebaut."

Impressionen vom Donnerstag, als Kolb erstmals den Roadgap gesprungen ist.
Jono Jones

Am Donnerstag hat sich der Schladminger erstmals über den großen Roadgap gewagt. "Das war ungefähr so, als würde ich mit dem Radl von Papas Hausdach runterspringen", veranschaulicht er die Dimension. Er versucht sich nun tageweise an die großen Features heranzutasten. Kolb erzählt, dass er dazu stets jemanden braucht, der ihn über die Sprünge zieht. Das bedeutet: einen Fahrer, dem er sehr nah am Hinterrad folgen kann, um die Geschwindigkeit einschätzen zu können, die er benötigt, um den Sprung ideal zu meistern.

Kolb will unverletzt in den Urlaub

Kolb bezeichnet sich selbst "nicht als großen Springer", weshalb manche Hardline-Gaps und -Drops eigentlich schon außerhalb seiner ohnehin gewaltigen Komfortzone liegen. "Heute Vormittag haben wir wenig Wind, da werde ich noch einiges probieren", erzählt er. Aber man hört ihm den Respekt vor dem Kurs selbst durchs Telefon an. Ob er am Sonntag wirklich als erster Österreicher die Hardline fährt – Red Bull TV überträgt das Rennen ab 13:30 Uhr live –, will er spontan entscheiden. "Ich bin zum ersten Mal hier, ich muss nicht gleich im ersten Jahr alles fahren", begründet er sein Zögern. Schließlich wolle er nach der anstrengenden Saison heil in den wohlverdienten Urlaub.

Und auf der Hardline gibt es nicht nur Sprünge, die den Fahrern zum Verhängnis werden können. Auch die Streckenteile dazwischen haben es in sich und sind technisch anspruchsvoller als herkömmliche Weltcup-Kurse, sagt Kolb: "Es ist arg und extrem, sehr nass und viele Felsen. Ich will hier nicht auf volles Risiko fahren."

Bernhard Kerr mit heftigem Sturz

Wie schwierig der Kurs, der im Dyfi-Valley in der Region Snowdonia in der Mitte von Wales liegt, heuer ist, zeigte sich bereits im Training, wo der Brite Bernhard Kerr, seines Zeichens bislang einziger Dreifachsieger bei der Hardline, einen schweren Sturz erlitten hat. Kerr wollte als Erster den größeren der beiden neuen Doubles springen. Er landete etwas zu spät, ein schlimm aussehender Überschlag war die Folge. Doch Kerr blieb ohne schwere Verletzungen und wird hoffentlich am Sonntag an den Start gehen können.

Kerr und Co versuchen sich erstmals an den neuen Monstersprüngen der Hardline – inklusive Monstersturz von Kerr, den er zum Glück gut überstanden hat.
Jono Jones

Ob Österreichs Downhill-Star Kolb die Hardline bezwingt oder nicht, wird sich weisen. Das Rennen anzusehen lohnt sich auf jeden Fall, es ist neben der Rampage das zweite finale Highlight zum Ende der diesjährigen Mountainbike-Saison. Für den Schladminger kommt nun die Zeit, das Erlebte aus dem Weltcup zu verarbeiten, wie er sagt: "Ich realisiere langsam erst, was da heuer passiert ist." Kolb sorgte für mehrere "Als erster Österreicher"-Momente in der abgelaufenen Rennsaison. Der Europameister-Titel im Downhill, den er ebenfalls holte, ist neben all den Erfolgen fast untergegangen.

Die guten Platzierungen blieben in der Branche aber alles andere als unbemerkt. Zahlreiche große Teams haben bereits angeklopft, wie Kolb erzählt, und ihm Angebote gemacht: "Es ist schon spannend, was da plötzlich geboten wird." Er würde am liebsten beim Atherton-Team bleiben, wie er sagt: "Das wäre mein Traum, weil dieses Jahr alles perfekt gelaufen ist, und warum nun wechseln?" Doch letztlich wird das Geld eine entscheidende Rolle spielen, denn um eine Weltcup-Saison bestreiten zu können, braucht es die entsprechenden Rahmenbedingungen, was Betreuung und Ressourcen angeht.

Wer Kolb noch persönlich sehen will, um ihm zur erfolgreichen Saison zu gratulieren, hat kommende Woche in Leogang die Gelegenheit dazu. Dort wird er als Pro-Rider zum Anfassen beim Bikefestival Saalfelden Leogang, das von 16. bis 18. September stattfindet, teilnehmen und für Autogramme und "Ride with a Pro" zur Verfügung stehen. (Steffen Arora, 9.9.2022)