Matthias Huss, Glaziologe an der ETH Zürich, führt mit weiteren Wissenschaftlern Messungen der Eisdicke des Griesgletschers durch.

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Bern – Die ersten Erkenntnisse des Schweizerischen Gletschermessnetzes (Glamos) sind "extrem und besorgniserregend": Die Gletscher sind in diesem Sommer so stark geschmolzen wie noch nie seit Messbeginn. Ein vollständiger Bericht ist für den Herbst geplant, aber die Trends sind schon jetzt klar: "In anderen Jahren wie 2011, 2015, 2018 oder 2019 gab es bereits eine sehr starke Schmelze, aber 2022 ist wirklich anders und bricht alle Rekorde", stellt Glamos-Direktor Matthias Huss fest.

Um eine Bilanz zur Gesamtmasse und zum Gesundheitszustand der Gletscher zu erstellen, besuchen der Glaziologe der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und sein Team zweimal im Jahr die Gipfel der rund 20 Gletscher. in der Schweiz, um das Ausmaß der Gletscherschmelze zu messen. Eine erste Messung erfolgt jeweils im April, um herauszufinden, wie viel Schnee auf dem Gletscher liegt. "Diese Schicht ist wichtig, weil sie den Gletscher während der Sommermonate ernährt und schützt", erklärt Huss. Eine zweite Messung erfolgt im September, um herauszufinden, wie der Gletscher während des Sommers reagiert hat. Bereits im April war Huss klar, dass die warme Jahreszeit hart sein würde, als er und sein Team die dünne Schneeschicht auf dem Griesgletscher sahen. Im Juli ist diese auf 3.000 Metern vollständig geschmolzen und der Gletscher hat bereits an Masse verloren.

Gletscher seien bereits "dem Untergang geweiht"

Im September stellte das Team einen rekordverdächtigen Verlust von vier Metern an den höchsten Stellen des Gletschers fest: Das sei zwei- bis dreimal so viel wie in anderen Jahren und damit außergewöhnlich. Dasselbe gilt für den Findelgletscher oberhalb von Zermatt. Dieser schmolz auf einer Höhe von 3.400 Metern um zwei Meter, obwohl in dieser Höhe bisher bis in den Sommer hinein immer genug Schnee lag. Auf dem Corvatsch-Gletscher im Kanton Graubünden ist sogar so viel Eis geschmolzen, dass dieser nicht mehr gemessen werden kann.

Es sei schwer, diese Veränderungen zu beobachten, sagt Huss. Gletscher reagierten sehr langsam, und die aktuellen Befunde spiegelten das wider, was vor 20 oder 30 Jahren geschehen sei. Insofern seien die kleinen Gletscher bereits "dem Untergang geweiht".

Dennoch will der Glaziologe nicht ganz schwarz malen für die Zukunft. Wenn die Menschheit jetzt reagiere und die im Pariser Abkommen vorgesehenen Maßnahmen zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad einhalte, sei es noch möglich, ein Drittel der derzeitigen Masse der größten Schweizer Gletscher zu retten. (APA, red, 11.9.2022)