Im Elternhaus von Renate Guttmann hatte die Flüchtlingsfamilie viel Platz und einen großen Garten. Nun lebt sie in einem Zimmer einer betreuten Einrichtung. Der Aufwand wurde Frau Guttmann zu groß. Sie fühlt sich von den Behörden im Stich gelassen.

Foto: Guido Gluschitsch

Wenige Monate, bevor die Flüchtlingsfamilie einzog, hatte die Familie Guttmann das Haus renoviert und zum Teil neu möbliert. So ist etwa auch die Küche neu.

Foto: Guido Gluschitsch

Die Familie saß oft im Garten, erzählt Renate Guttmann. Dort hatten sie auch die Möglichkeit Gemüse anzubauen oder von den Obstbäumen und den Uhudlerreben zu ernten, was gerade reif war.

Foto: Guido Gluschitsch

Renate Guttmann hat sich, wenige Tage nachdem die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine im Burgenland angekommen waren, entschlossen, ihr leerstehendes, frisch renoviertes Elternhaus zur Verfügung zu stellen und Unterkunftgeberin zu werden. Sie erzählt von unfähigen Behörden und hohem Zeitaufwand.

24. 2. 2022

Kriegsbeginn in der Ukraine. Kurz darauf beschließt Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, dass auch das Burgenland seine Unterstützung anbieten möchte. Die geflüchteten Menschen werden in Bussen von der Grenze abgeholt und ins Burgenland gebracht.

14. 3. 2022

Ich werde gefragt, ob ich mein leerstehendes Elternhaus als Quartier zur Verfügung stellen könnte. Ich sage sofort zu.

15. 3. 2022

Ich bin nun Unterkunftgeberin einer vierköpfigen, netten Familie. Der 39-jährige Vater hat Krebs im Endstadium. Unsere Sprachbarriere überwinden wir mit einer Übersetzungs-App.

16. 3. 2022

Erhalte zu Mittag einen Anruf: Der Vater der Familie braucht dringend medizinische Hilfe. Mein Mann organisiert die Rettung und bringt selbst dessen Gattin ins Krankenhaus. Ich betreue die beiden Töchter im Alter von sieben und 22 Jahren. Gut, dass ich inzwischen in Pension bin. Erst am Abend kommt mein Mann retour.

17. 3. 2022

Wir machen die Anmeldung im Gemeindeamt und schließen den Prekariatsvertrag ab, stellen den Antrag auf Grundversorgung. Wir bringen die Familie zum PCR-Test, damit sie ihren Vater im Krankenhaus besuchen können. Leider fehlen uns noch Informationen zur Familie, die für den Test notwendig sind. Um die muss ich mich kümmern, und das dauert mehrere Stunden – nur weil man an der Grenze notwendige Unterlagen nicht überreicht hat. Man schickt mich zwischen Bundes- und Landesstellen hin und her. Und die Familie hat auch kein Smartphone, an das man die Testergebnisse schicken kann. Im Haus der Gastfamilie installieren wir einen Internetzugang.

18. 3. 2022

Wir müssen die Einschreibung in der Volksschule erledigen. Langsam haben wir das Gefühl, nicht Unterkunftgeber, sondern Flüchtlingshelfer zu sein. Und nicht nur wir sind eingeteilt, meine Schwester sorgt für das Mittagessen der Flüchtlingsfamilie und erledigt die Einkäufe. Andere Familien, die Flüchtlingen Raum zur Verfügung stellen wollen, kontaktieren mich wegen Informationen. Den Nachmittag verbringen wir im Spital – dem Vater geht es sehr schlecht.

19. 3. 2022

Die Bevölkerung überhäuft die Flüchtlingsfamilie inzwischen mit Gutscheinen, Bargeld, Lebensmitteln, Spielzeug, Kleidung – es ist unglaublich, wie die Dorfgemeinschaft zusammenhält. Wir organisieren eine gebrauchte Waschmaschine zu einem moderaten Preis.

21. 3. 2022

Wir erledigen alles, was am ersten Schultag anfällt. Nicht einmal mit einem Halbtagsjob würde sich das alles ausgehen.

25. 3. 2022

Angeblich gibt es auf der BH Mattersburg einen Sprechtag für die Ukrainer, wo endlich offene Fragen geklärt werden – also melde ich die Familie an. Dafür sind vier Telefonate notwendig. Wir sind die Ersten, die sich anmelden, weil keine Flüchtlinge über die Veranstaltung direkt informiert wurden.

Auch unser evangelischer Pfarrer hat alle Gastfamilien zu einem Erfahrungsaustausch eingeladen. Es ergeben sich hunderte Fragen. Wir Unterkunftgeber fühlen uns von der Politik allein gelassen, denn unsere Mails werden nicht beantwortet, Telefone nicht abgehoben, niemand will zuständig sein.

Als pensionierte Landesbedienstete kenne ich den Apparat bestens und bin hartnäckiger als andere. Der eilends eingerichtete Krisenstab ist zwar bemüht, doch oft nicht kompetent. Man sagte mir: "Komisch, dass nur du dauernd Probleme hast, bei anderen scheint alles zu funktionieren, denn die rufen nie an." Kein Wunder, die rufen auch alle mich an.

Einer von den anderen Unterkunftgebern wird nervös, als ich ihm erzähle, dass die Auszahlung der Grundversorgung einige Wochen dauern kann. Er gehört nicht zu den Bestverdienern und soll nun zusätzlich eine fünfköpfige Familie versorgen.

Die Lehrerin bittet mich, dem Kind Nachhilfe zu geben, und ich soll regelmäßig ins Mitteilungsheft schauen. Der Krisenstab hat mich gebeten, die Anliegen der verschiedenen Familien zu sammeln. Seltsam, was alles zu den Aufgaben einer Unterkunftgeberin gehört.

26. 3. 2022

Der Vater der Familie ist im Krankenhaus abzuholen, und ich muss am Samstagnachmittag umständlich Medikamente organisieren.

27. 3. 2022

In der Zeitung steht, dass für Stifte und Schulhefte eine Erhebung an den Schulen gemacht wird. Dann geht eine Sammelmeldung an das Rote Kreuz, das die Sachen einkauft, aufteilt und den einzelnen Schulen zustellt. Wann käme dann ein Kind zu seinem Heft? Dabei ist das alles schon längst von jeder Schule erledigt worden – womit hätten die Kinder sonst bis jetzt geschrieben?

Mein Sohn setzt seinen alten Laptop neu auf, damit die ältere Tochter ihr Jusstudium fortsetzen kann – der vom Land versprochene Laptop wird nicht kommen, bevor die Dame den Bachelorabschluss hat.

Der Pfarrer hat einen Deutschkurs initiiert, weil die Bildungsberatung das nicht schafft.

28. 3. 2022

Der Familienvater muss zum Arzt, und wir sollen medizinische Entscheidungen treffen, zu denen wir uns nicht fähig fühlen. Ich telefoniere wieder stundenlang. (...)

30. 3. 2022

Wieder lange Telefonate, um an Caritas-Gutscheine für die Familie zu kommen und den Transport des Vaters ins Krankenhaus zu organisieren. (...)

11. 4. 2022

Nach zig Anrufen erfahre ich, dass die Sache mit der Grundversorgung positiv erledigt und das Geld in ein paar Tagen am Konto sei, nach weiteren, dass die Blaue Karte weiter auf sich warten lasse, weil es Probleme gibt und an der Grenze nicht alles richtig erledigt wurde. Bis Mittag muss ich die fehlenden Unterlagen auftreiben und aufs Amt bringen. (...)

1. 5. 2022

Die Familie findet sich inzwischen im Alltag zurecht und ist im Dorf integriert. Die Mutter und die erwachsene Tochter helfen freiwillig in der Gemeinde, die jüngere Tochter fühlt sich in der Schule wohl. Die Mutter sagte: "Wir fühlen uns wie in einem Traum – gibt es überhaupt böse Menschen in Österreich?" Dem Vater geht es immer schlechter. (...)

23. 7. 2022

Der Vater der Familie verstirbt. Wir beginnen mit den Vorbereitungen der Beerdigung in einem uns fremden Land nach uns fremden Regeln. (...)

31. 8. 2022

Ich habe den Vertrag aufgelöst. Ich habe die Behördenwege nicht mehr geschafft. Nun leben sie in einer Einrichtung, in einem Zimmer. Dafür bekommt diese Einrichtung 1800 Euro. Ich bekam für das Haus mit Garten 256 Euro. (...)

7. 9. 2022

Das Büro Doskozil hat angerufen und sich für meine guten Ideen bedankt – aber schuld an den meisten Problemen sei der Bund. (Guido Gluschitsch, 13.9.2022)