Klubobmann Markus Sint, Spitzenkandidatin Andrea Haselwanter-Schneider und Listengründer Fritz Dinkhauser.

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Innsbruck – Es ist Donnerstag, sieben Uhr Früh, am Innsbrucker Terminal. Die etlichen Menschen, die hier aus- oder umsteigen, werden die Stadt erst zum Erwachen bringen. Neben der Station parkt ein weißer Bus der Liste Fritz. Die Insassen wollen hier an die Berufstätigen Wahlsackerln mit Kipferln verteilen. Ihr Problem: Die ÖVP war schneller und verteilt selbst schon Sackerln, ebenfalls mit Kipferln. Die Schwarzen sind mehr, die Liste Fritz zieht ab und versucht es woanders in der Stadt.

Innsbruck ist im Wahlkampf, und es ist nicht leicht, in Tirol neben dem Platzhirsch ÖVP seinen Platz zu finden. Am 25. September wird ein neuer Landtag gewählt, und der wird allen Umfragen zufolge bunter: weniger Schwarz und mehr von allen anderen Farben. Die Liste Fritz kann auf eine Verdoppelung ihres letzten Ergebnisses von etwas mehr als fünf Prozent hoffen. Seit 2008 sitzt die Partei im Landtag, anders als andere Protestparteien hat sich die Liste Fritz gehalten. Wie aber hat sie das geschafft?

2008 als Protestliste gegründet

Die politische Gemengelage in Tirol wies damals Ähnlichkeiten zu heute auf. Die ÖVP mit Landeshauptmann Herwig van Staa an der Spitze schwächelte. Allerdings in anderen Dimensionen als heute. Damals galt die 40-Prozent-Marke als Gradmesser für Erfolg oder Niederlage, heute würde sich die "Liste Mattle" schon über einen Dreier vor dem Wahlergebnis freuen.

Und 2008 kam die Gefahr für die ÖVP mit der Liste Fritz von innen: Ex-AK-Präsident Fritz Dinkhauser war als abtrünniger ÖVPler ein mächtiger Gegner. Er trat mit dem Versprechen an, die "schwarzen Seilschaften" zu stoppen. Der als Polterer für seine Sprüche über Tirol hinaus bekannte Dinkhauser holte prominente Mitstreiter an Bord, wie Transitforum-Obmann Fritz Gurgiser oder den Agrargemeinschaften-Aufdecker Andreas Brugger. Der Erfolg überraschte alle: 18,35 Prozent der Stimmen beim ersten Antritt.

Bauchfleck auf Bundesebene

Voller Euphorie wagte Dinkhauser wenige Monate nach dem Wahlerfolg einen Versuch im Bund. Ein "Fehler", wie mittlerweile offen zugegeben wird. Die Partei scheiterte mit nur 1,76 Prozent kläglich am Einzug in den Nationalrat. Auch in Tirol hinterließ dieser kapitale Bauchfleck seine Spuren.

Intern gerieten die Alphatiere Dinkhauser und Gurgiser aneinander. Der Transitaktivist wurde 2009 aus der Partei ausgeschlossen, Rechtsstreitigkeiten inklusive. Gurgiser nennt "Eitelkeiten", die das Projekt in seinen Augen scheitern ließen. Dinkhauser habe in Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP den Rücktritt van Staas als Bedingung gesetzt. Das ließen sich die Schwarzen nicht gefallen und koalierten 2008 erneut mit der SPÖ. Die Liste Fritz ging angeschlagen in die Opposition, wo sie bis heute blieb.

2013 folgte die "Schicksalswahl", wie es der heutige Klubobmann Markus Sint ausdrückt. Dinkhauser war als Spitzenkandidat abgetreten, der damalige Klubobmann Bernhard Ernst kurz zuvor verstorben. Andrea Haselwanter-Schneider musste an die Spitze. "Hätten wir es nicht geschafft, wäre das das Ende der Liste Fritz gewesen", erinnert sich Sint.

"Seriöse Protestpartei"

Die Konsolidierung dürfte gelungen sein: Als "eigenständige Marke", die sich als "konstruktive Oppositionskraft" versteht, habe die Liste Fritz ihren Platz in Tirol gefunden, sagt die Innsbrucker Politikwissenschafterin Lore Hayek. Laut einer Umfrage sind mehr als 50 Prozent der Tiroler mit dem politischen System unzufrieden. Das könnte der Liste Fritz nützen: Sie sei eine "seriöse Protestpartei für Menschen, die mit klassischen Parteistrukturen unzufrieden sind, aber keine extremen Ansichten vertreten", sagt Hayek.

Spitzenkandidatin Haselwanter-Schneider gibt sich im Wahlkampf unideologisch. Als sie an diesem Donnerstagmorgen Kipferln verteilt, steuert sie zuerst einen Straßenkehrer, einen Busfahrer und dann einen Hotelbediensteten bei seiner Zigarettenpause an. Potenzielle Wähler, die eigentlich dem SPÖ-Lager zuzurechnen wären.

"Miss Pflege" im Landtag

Am Tag zuvor verteilte Haselwanter-Schneider ihre Kipferln vor der Innsbrucker Klinik. Ein Heimspiel: Als diplomierte Krankenschwester und ehemalige Lehrende für Gesundheitsberufe bezeichnet sich Haselwanter-Schneider als "Miss Pflege im Tiroler Landtag". Sie weiß aber auch, wen sie mit diesem Thema anspricht. Den klassischen Wähler der Liste Fritz zu skizzieren sei schwierig, sagt sie. "Die Jungen rennen bei uns nicht die Türen ein wie bei den Neos."

Sint, ehemaliger ORF-Journalist, bezeichnet sich gerne als "politischen Rechnungshof". Bei Beschwerden fahre man zu den Leuten vor Ort und bringe das Thema im Landtag ein. Anders als die Mitbewerber sei man "unbestechlich". Es gibt keine Parteispenden.

Die derzeitigen Plakate zeigen Sint und Haselwanter-Schneider beim Zuhören. Das sei die Arbeitsweise der Partei, sagten sie bei der Präsentation: "Uns ist kein Problem zu klein." Derzeit bleiben fürs Zuhören vier Ohren. Haselwanter-Schneider und Sint treffen alle maßgeblichen Entscheidungen im Tandem. In den Bezirken und Gemeinden gibt es kaum Strukturen. Sollte die Partei bei der Wahl reüssieren, dürfte die Expansion nach unten als nächstes Projekt anstehen. Dieses Mal kandidiert Parteigründer Dinkhauser nur noch symbolisch auf dem 72. Platz – als "väterlicher Freund", wie ihn die Partei heute nennt. (Laurin Lorenz, Steffen Arora, 14.9.2022)