Das Europäische Parlament ist in der Regel ganz groß, wenn es darum geht, Fehler, Machenschaften und Affären anzuprangern. Zumindest dann, wenn andere betroffen sind. Ob Verdacht auf Korruption besteht, auf Missbrauch von Fördergeldern in den Staaten, unsaubere Postenbesetzungen – auf die Abgeordneten in Straßburg ist Verlass. Sie empören sich, in Pressekonferenzen oder Resolutionen.

Das Europäische Parlament in Straßburg ist in der Regel groß, wenn es darum geht, Machenschaften und Affären anzuprangern.
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Manchmal kommt es sogar zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. So geschah das etwa, als der frühere Kabinettschef von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in einer Blitzaktion zum höchsten Beamten der Zentralbehörde, zum Generalsekretär durchmarschierte – mit höchster politischer Unterstützung. Formal konnte ihm zwar kein Strick gedreht werden. Aber die Parlamentarier hielten fest, dass die Besetzung in ihren Augen so nicht korrekt war.

Umso erstaunlicher ist, was sich jetzt bei der Besetzung des Generalsekretärs des EU-Parlaments abspielte. Der ist als höchster Beamter nicht nur für 8000 EU-Diener verantwortlich ist, er hat indirekt viel politischen Einfluss.

Das Rennen machte ausgerechnet der Kabinettschef von Präsidentin Roberta Metsola, in einem intransparenten Verfahren. So ein Zufall auch, er ist ein christdemokratischer Parteifreund aus Italien, mit besten Beziehungen zum Umfeld Silvio Berlusconis. Er bekam den Job, weil es einen Kuhhandel der Fraktionen um weitere hohe Posten gab. Metsola hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. Und, oh Wunder: Bis auf wenige Ausnahmen schweigen die EU-Abgeordneten. (Thomas Mayer, 13.9.2022)