Wien – Mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar wurde auch eine Debatte über die Neutralität Österreichs losgetreten. Ein Bündnis, darunter Vertreterinnen und Vertreter aus der Wissenschaft, Politologinnen und Politologen sowie Personen aus der Gewerkschaft und der Wirtschaft, wollen eine klare Antwort auf die Neutralitätsfrage bieten. Gemeinsam tritt man gegen den Krieg auf und spricht sich für eine aktive Friedenspolitik aus. In einem Offenen Brief treten sie für die Einhaltung der österreichischen Neutralität ein, um die Sicherheit des Landes zu gewährleisten.

Die Initiatoren fordern vom Bundespräsidenten in der Hofburg ein klares Bekenntnis zur österreichischen Neutralität.
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Der Appell der Initiatoren des Briefs richtet sich in Hinblick auf die Bundespräsidentenwahl vor allem an das Staatsoberhaupt. "Gerade jetzt, wo Krieg in Europa herrscht, erwarten wir vom Bundespräsidenten, allen Versuchen von verschiedenen Parteien und Interessensvertretern oder Militärs, die österreichische Neutralität zu relativieren bzw. sogar aufzuheben, entgegenzutreten", heißt es. Jedenfalls sei es aber wichtig, sich bei Menschenrechtsverletzungen und beim Bruch des Völkerrechts als neutraler Staat entscheidend für den Frieden einzusetzen. Österreich solle als neutraler Staat auftreten und Platz für internationale Verhandlungen bieten.

Laut Initiator Wilfried Leisch vom Österreichischen Solidaritätskomitee kam prompt eine Antwort auf das Schreiben vonseiten des Staatschefs. Der Präsident sei immer darum bemüht, die Neutralität zu wahren und sie aktiv auszuleben, hieß es vonseiten der Präsidentschaftskanzlei.

"Gefahr von Ost und West"

Den Verfassern des Briefs ging die Neutralitätspolitik in den vergangenen Monaten aber zu wenig in die richtige Richtung. Auch die Antwort des Bundespräsidenten sei nicht ausreichend. Österreich sei vor allem in der Europäischen Union zu aktiv an der Rüstungspolitik beteiligt. Denn die Gefahr komme nicht nur vom Osten, sondern auch vom Westen, von der EU-Militarisierung inklusive des nun auch massiv aufrüstenden Deutschlands, steht etwa im Brief.

Der Politologe Heinz Gärtner, der den Brief ebenfalls mitträgt, ruft dazu auf, als Staat neutral zu bleiben und sich keinen militärischen Bündnissen anzuschließen: "Es gibt nur zwei Möglichkeiten als kleiner Staat: Entweder man schließt sich einer Großmacht an oder bleibt neutral und stellt damit keine Gefahr für einen anderen Staat dar."

Neutralität bei allen Kandidaten wichtig

Dass dem amtierenden Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen eine aktive Neutralitätspolitik ein Anliegen ist, beantwortete er den Initiatoren des Briefes bereits. Generell sind sich alle Kandidaten bei der Bundespräsidentschaftswahl einig, dass ein Beitritt zu einem Militärbündnis, etwa der Nato, nicht infrage komme. Geht es jedoch um die Haltung zum Ukraine-Krieg, gehen die Meinungen zur Neutralität auseinander. Der Amtsinhaber Van der Bellen sieht die Russland-Sanktionen als notwendig an, fast alle seiner Konkurrenten sind strikt dagegen.

Die FPÖ und ihr Kandidat Walter Rosenkranz setzen auf ein starkes Neutralitätsbekenntnis und lehnen die Sanktionen gegen Russland ab. Von einer "Kriegstreiberei der EU" ist bei der FPÖ die Rede. Auch Michael Brunner von der MFG vertritt diese Position. Er lehne wirtschaftliche Sanktionen gegen andere Staaten grundsätzlich ab. Ebenfalls der Meinung ist der ehemalige FPÖ- und BZÖ-Politiker Gerald Grosz. Er ist mit Rosenkranz und Brunner auch der Ansicht, dass der Austritt aus der EU ein wichtiger Schritt für ein neutrales Österreich sei.

Kandidat Tassilo Wallentin ist zwar ebenfalls gegen die Russland-Sanktionen, jedoch nicht für einen EU-Austritt. Auch Heinrich Staudinger spricht sich gegen die Sanktionen aus. Einzig Dominik Wlazny von der Bierpartei vertritt diese Positionen nicht. Er würde sich als Bundespräsident einer generellen Sicherheitsdebatte widmen wollen und konkrete Gefahren für Österreich evaluieren. (Max Stepan, 14.9.2022)