Für einige Pflichtprogramm einmal im Jahr, für andere Horrorszenarium: Die gesamte Familie treffen.
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Pro
von Pia Kruckenhauser

Familienzusammenkünfte sind großartig, ich bin uneingeschränkter Fan. Je mehr Verwandte, desto besser. Alljährlich trifft sich meine Großfamilie ein Wochenende lang in den Bergen und verbringt Zeit miteinander. Anlass für die Premiere vor bald 30 Jahren war Omas Geburtstag, sie hat sich gewünscht, alle ihre Enkelkinder (15 an der Zahl) auf einmal zu sehen. Die Oma ist vor sechs Jahren mit 91 gestorben, in diesen Treffen lebt sie weiter.

Zugegeben, meine Begeisterung hat sicher auch damit zu tun, dass meine Familie so groß ist – mit der nächsten Generation sind es fast 50 Personen. Bei so vielen Menschen macht es nichts aus, wenn man mit der einen oder dem anderen nicht so gut kann. Und es gibt keine Zwänge. Gemeinsamer Fixpunkt ist das Abendessen, davor und danach macht man, was man will.

Dadurch bekommt das Ganze eine wunderbare Lockerheit. Es ist einfach schön, mich mit all diesen interessanten, verrückten, wunderbaren Menschen aus drei Generationen, mit denen mich so viel verbindet, auszutauschen. Im Alltag bleibt dafür nämlich viel zu wenig Zeit.

Kontra
von Ronald Pohl

Mit manchen Menschen möchte man keine Zuggarnitur teilen. Missliebige Zeitgenossen gibt es zuhauf. Sie studieren in öffentlichen Einrichtungen die anatolische Hitparade und zeigen sich dabei gesonnen, ihre akustischen Eindrücke mit ihrem Sitznachbarn zu teilen. Von solchen Freunden des Schönklangs kann man sich wegsetzen. Handelt es sich bei dem Krawallbruder jedoch um einen waschechten Verwandten, entfällt die Möglichkeit zur Flucht: So weitschichtig kann das Verhältnis, in dem man zu dem Störenfried steht, gar nicht sein.

Womöglich muss man sogar gute Miene machen, sich nach dem Erzeuger des Unseligen erkunden, nach den Umständen seiner Herkunft forschen et cetera. Man erleidet Bedrückungen sonder Zahl. Man beginnt wohl damit, die eigene Sippe insgeheim zu verfluchen.

Und so sollte es mit einem tiefsinnigen Gedanken sein Bewenden haben: Wir Menschen sind ohnedies Brüder und Schwestern. Mit ihnen allen schließt man sich gerne zusammen. Da bedarf es keiner Extrazusammenkünfte mit einem Onkel aus dem fernen Stockerau. (RONDO, 3.10.2022)