Manischer Filmemacher, noch manischerer Liebender: Denis Ménochet als Fassbinder-Alter-Ego in "Peter von Kant".

Foto: C. Bethuel/FOZ

Neuerdings ist fast alles "toxisch", was man früher einfach als einen schwierigen Charakter, als Neigung zur Selbstzerstörung oder zur Manipulation bezeichnet hätte, als seelische Gewalt, die nicht selten auch in körperliche überging. Der Filmemacher Rainer Werner Fassbinder war, von heute aus gesehen, ein Großmeister oder ein Hohepriester der Toxizität. Es gibt zahllose Geschichten davon, wie er mit den Menschen umging, mit denen er lebte und arbeitete – ganze Klischeewelten von kreativer Tyrannei leben bis heute von der Marke Fassbinder.

Er war aber eben auch jemand, der sehr genau wusste, wie er seinen zweifellos problematischen Charakter in ein Werk transzendieren konnte. Zu den Schlüsselfilmen in dieser Hinsicht zählt sicher Die bitteren Tränen der Petra von Kant (1972), ein Drama, in dem Margit Carstensen eine Modeschöpferin spielte, die sich in eine Frau verliebt, die sie mit dieser Liebe erst so richtig erschaffen will. Und das alles in einer Wohnwelt, in der ein Gemälde von Poussin als Fototapete dient und das Design der gerade erst ein wenig modern gewordenen Bundesrepublik in seiner vollen Pracht erschien.

KinoCheck Indie

Petra von Kant wurde aus naheliegenden Gründen sofort als eine Verschlüsselung von Fassbinder selbst gesehen. Dabei war aber ein Punkt entscheidend: Dass er sich, wie immer ausdrücklich, als eine unmögliche Frau sehen wollte, war ein Aspekt seiner Homosexualität, aber auch seiner Liebe zum Kino.

Fassbinder sah in den "women’s pictures" des klassischen Hollywood, im Genre des Melodrams, eine Kraftquelle nicht nur für seine eigene Inspiration. Er wollte das ganze Projekt eines populären deutschen Kinos von diesen Gefühlsordnungen ausgehen lassen, die im Wissen der Hollywood-Hits gespeichert war. Er sah sich selbst in doppelter Hinsicht als queer, nämlich in einer Art Genre-Drag, der es ihm erlaubte, sich selbst zu vergessen und doch zu sich selbst zurückzukehren.

Umso erstaunlicher ist, dass der französische Regisseur François Ozon nun Fassbinders Akt der Entäußerung quasi zurücknimmt: In dem Film Peter von Kant ist alles auf toxische Männlichkeit gewendet, was bei Petra von Kant noch melodramatische Weiblichkeit war. Natürlich sind auch hier die Geschlechterrollen komplexer, als es der erste Anschein haben will.

Mode und Kino

Aber schon der Titel ist Programm: Wo Petra war, ist Peter geworden. Und wo die Mode als System das Kino kristallisierte, ist nun ausdrücklich Kino. Peter von Kant ist ein Filmemacher, der in Köln anno 1972 in einem Loft lebt, mit seinem Faktotum Karl (in der Vorlage Marlene, eine große Rolle von Irm Hermann). Peter arbeitet an einem Projekt für Romy Schneider, seine Freundin Sidonie (Isabelle Adjani) kommt mit einem jungen Freund vorbei, der den bisexuellen Regisseur sofort gefangen nimmt: Amir Ben Salem.

Die Machtverhältnisse kippen schnell, der bedeutende Künstler und der angehende Schauspieler werden ein unglückliches, leidenschaftliches Paar, das vor allem Kränkungen austauscht. Ozon geht mit seinem Spiegel-Experiment so weit, dass er einen Film im Film erfindet, der wie eine billige Parodie auf einen von Fassbinder klingt: Tod ist heißer als die Liebe.

Peter von Kant will aber keine Parodie sein, obwohl an manchen Stellen schon so etwas wie Veräppelung stark durchschimmert. Es bleibt rätselhaft, was sich Ozon von diesem Manöver versprochen hat, einen Film quasi einfach einmal um die Geschlechterachse zu wuchten.

2000 hatte er schon einmal ein Stück von Fassbinder verfilmt: Tropfen auf heiße Steine beruht auf einer ähnlichen Konstellation wie nun Peter von Kant, bewegte sich in den Fassbinder-Konstellationen aber mit Lust und ausreichend Ambivalenz. Dass in Peter von Kant nun hingegen Hanna Schygulla als Mutti auftaucht (in der Vorlage war sie noch das Objekt des Begehrens), zeugt allein schon davon, dass hier etwas – vieles! – nicht stimmt. Bloß frivol kann das alles ja nicht gemeint sein. (Bert Rebhandl, 22.9.2022)