Dass Gastronomie- und Tourismusbetriebe mangels Arbeitskraftverfügbarkeit unter Druck stehen, liegt an vielen Ursachen, einige davon sind hausgemacht.

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Ob im Tourismus, in der Gastronomie, der Kinderbetreuung, im medizinischen Bereich, in der IT – kaum ein Sektor des österreichischen Arbeitsmarkts, der momentan nicht verzweifelt, geradezu "händeringend" nach Personal sucht. Videos von Geschäftsleuten in sozialen Medien, die beklagen, trotz bester Gehälter niemanden zu finden, der für sie arbeiten möchte. Zahllose Artikel, die den mangelnden Arbeitseifer der Millennials als Grund für die Misere am Arbeitsmarkt sehen.

Dabei äußern immer mehr Menschen die Vermutung, dass das alles so nicht ganz stimmen kann und die Unternehmen selbst wohl auch irgendwie zu den Problemen beigetragen haben. Denn auch wenn es bei der momentan verstärkten Berichterstattung so wirken mag, als seien die Arbeitsmarktprobleme ein Phänomen der Post-Covid-Gesellschaft, so sind die Probleme tatsächlich alles andere als neu.

Wohlfühlen in der Hängematte

Fragt man nach den Ursachen und Gründen, so sind die beteiligten Seiten schnell dabei, Schuldige zu identifizieren. Viele Arbeitslose fühlen sich zu wohl in der sozialen Hängematte, meinen manche Wirtschaftstreibende. Das gebotene Gehalt reiche gerade noch zum Überleben, nicht mehr zum Leben, meinen hingegen viele Beschäftigte, vor allem in Niedriglohnsektoren.

Auch die Effizienz des Arbeitsmarktservice (AMS), Probleme bei der Lehrlingsausbildung, billige Arbeitskräfte aus dem Osten, das Leiden der über 50-Jährigen und fehlende oder falsche Ausbildungen wurden immer wieder diskutiert. An Themen und Faktoren, die die Debatte beeinflussen, mangelt es also nicht. An veröffentlichten Daten, Zahlen und Listen ebenso wenig. Werfen wir also einen Blick auf einige der oben erwähnten Faktoren, um der Frage näher zu kommen, wie und ob all diese Probleme beim Thema Personalmangel zusammenspielen.

Unterschiede in den Ländern

Der erste Faktor betrifft bundesländerspezifische Unterschiede bei offenen Stellen und arbeitssuchenden Menschen und zeigt ein enormes Ost-West-Gefälle. In Wien ist der Andrang auf eine offene Stelle rund viermal so hoch wie in den westlichen Bundesländern.

Um in dieser Sache zu einer Lösung zu kommen, scheint sich zuallererst die Frage zu stellen, ob man Arbeitssuchende aus Wien wirklich zur Annahme einer Arbeitsstelle in Tirol zwingen möchte. Und selbst wenn man sie bejaht, steht noch ein häufig von Arbeitnehmerinnen genanntes Argument gegen Gastro- oder Tourismus-Jobs im Weg: Nur eine Minderheit der dort Angestellten gibt an, gut mit den gezahlten Gehältern auszukommen.

Das monatliche Durchschnittsgehalt für offene Vollzeitstellen in der Branche liegt österreichweit unter 2.400 Euro brutto, was etwa 1.700 Euro netto entspricht. Fast zwanzig Prozent der offenen Vollzeitstellen bieten sogar weniger als 1.700 Bruttoverdienst für eine Vollzeitstelle.

Für unsere Recherche haben wir uns auf Österreichs größtem Onlinejobportal Karriere.at umgesehen. Insgesamt waren dort Mitte September knapp 100.000 Vollzeitstellen gelistet. Im Tourismus waren von den 477 ausgeschriebenen Stellen weniger als 200 mit über 2.000 Euro Monatsbrutto entlohnt. Im Bereich Verkauf und Kundenbetreuung waren immerhin knapp 4.200 offene Stellen in dem Portal gelistet, von denen die überwiegende Mehrheit im Bereich zwischen 1.500 und 2.000 Euro brutto entlohnt werden.

Die medienwirksamen Appelle von Restaurantbetreibern, die trotz gebotener 3.000 Euro Monatsnettogehalt kein Personal finden, sind also nicht von statistischer Relevanz. Tatsächlich liegt das gebotene Entgelt bei der Mehrheit der ausgeschriebenen Vollzeitstellen in Tourismus, Gastronomie und Verkauf unter 2.000 Euro brutto. Bei den momentanen Lebenshaltungskosten und Preissteigerungen also von "gut bezahlt" doch ein Stück entfernt.

In der Debatte um fehlendes Personal wäre eine naheliegende Reaktion der Betriebe, die verzweifelt gesuchten Fachkräfte einfach selbst auszubilden. In einer Umfrage aus dem Jahr 2018 gaben 65 Prozent der befragten Unternehmer an, das größte Problem der betriebsinternen Ausbildung sei das Finden geeigneter Lehrlinge.

Andererseits bekannten mehr als 40 Prozent der Befragten in einer Wirtschaftskammer-Umfrage von 2021, sie würden grundsätzlich keine Lehrlinge ausbilden – auch nicht geeignete. Lediglich 37 Prozent bejahten diese Frage.

Hier zeigt sich eine eindeutige und schwer zu ignorierende Diskrepanz zwischen dem vermeintlichen Mangel an Fachkräften und der Bereitschaft der Unternehmen, diese selbst auszubilden. Gleichzeitig ist die Gesamtzahl der Lehrlinge in Österreich von 128.000 im Jahr 2011 auf 108.000 Lehrlinge zehn Jahre später gesunken.

Erst seit 2021 zeigen die Daten eine Trendwende mit erstmals mehr offenen Lehrstellen als Lehrstellensuchenden. Die Situation der vergangenen Jahre wird jedoch vermutlich noch einige Zeit spürbar sein.

Ein in diesem Zusammenhang interessanter Aspekt ist der Anteil von nicht weniger als 8,5 Prozent aller österreichischen Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren, die 2021 als sogenannte Neets galten; das Akronym steht für "not in education, employment or training" und bezeichnet Jugendliche, die sich weder in Ausbildung noch in einem Anstellungsverhältnis befinden.

Problematisch sind auch die Ausbildungsbedingungen von Jugendlichen, die sich in Lehre befinden. 2020 veranstaltete das Österreichische Institut für Berufsbildungsforschung eine Umfrage unter österreichischen Lehrlingen zu ihrer Zufriedenheit mit den Ausbildungsverhältnissen. Am zufriedensten sind die Lehrlinge demnach in der Industrie, Schlusslicht bilden neben dem Einzel- und Großhandel – wenig überraschend – Hotellerie, Gastronomie und Kochlehrlinge.

Ebenfalls führend ist die Tourismus- und Freizeitbranche bei der Zahl der Lehrabbrüche – mit fast 22 Prozent belegt sie auch hier einen unrühmlichen ersten Platz.

Stellt man also all diese Ergebnisse gestaffelt nach Branchen dem medialen Händeringen gegenüber, so wird es offensichtlich, dass das Problem Fachkräftemangel auch eine selbstverschuldete Seite der Medaille besitzt.

Auch die Diskussion um ältere Arbeitslose war in den vergangenen Jahren immer wieder Thema. Tatsächlich sind Menschen ab 55 Jahren prozentual gesehen deutlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Jüngere. Besonders bemerkenswert ist, dass sich die Gruppe der Arbeitslosen ab 55 Jahren 2011 zahlenmäßig verdoppelt hat und damit stärker gewachsen ist als alle andere Gruppen.

Natürlich dürfen auch die Auswirkungen der Covid-Krise nicht außen vor gelassen werden, um die Fachkräftekrise zu verstehen. Zu Beginn der Pandemie waren es zuerst die nun besonders "betroffenen" Branchen Hotellerie und Gastgewerbe, Tourismus und Handel, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in großer Anzahl in Kurzarbeit geschickt oder gleich entlassen haben. Und wie Statistiken – im Folgenden aus dem ähnlich strukturierten Deutschland – belegen, war genau in diesen Branchen die Anzahl derer, die krisenbedingt arbeitslos wurden, deutlich höher als in anderen Branchen.

Genau dieser Umgang mit dem Personal dürfte ihren ehemaligen Arbeitgebern auf die Füße fallen – denn vormals in Hotel, Gastro und Tourismus Beschäftigte führen wiederum eine unangenehme Statistik an: jene der Menschen, die sich beruflich umorientieren oder umorientieren wollen. Britische Zeitungen berichteten bereits 2021 von der "covid clarity", die in vielen Branchen für ein Umdenken und Überdenken der eigenen Arbeits- und Lebenssituation gesorgt hat. Arbeitnehmer wollen nun vermehrt Wertschätzung, Flexibilität und eine vernünftige Work-Life-Balance und sind bereit, sich beruflich umzuorientieren oder eine Auszeit zu nehmen.

Das Image der genannten Branchen hat gelitten, nur 15 Prozent sehen Jobs in Gastronomie und Tourismus als attraktive Option. Im Vergleich nennen über 40 Prozent die IT-Branche als attraktive Sparte. Gleichzeitig geben 70 Prozent der Befragten an, für eine Arbeitsstelle nicht weit umziehen zu wollen.

Nun sind Statistiken das eine, die öffentliche Wahrnehmung hingegen eine andere Sache. Unternehmen und Betriebe tun seit Monaten ihr Bestes, die Schuld an ihrem Arbeitskräftemangel allem Erdenklichen zuzuschieben, Selbstkritik hört man in dieser Kakofonie dagegen selten.

Ein Meinungsforschungsinstitut hat 2021 in der Bevölkerung eine Umfrage durchgeführt, weshalb Unternehmen sich momentan mit der Mitarbeitersuche schwertun. 45 Prozent glauben, dass schlechte Bezahlung und Arbeitsbedingungen der Grund sind, 25 Prozent denken, dass die Anreize durch Sozialleistungen zu hoch sind.

Das Problem Fachkräftemangel ist ein Zusammenspiel vieler Ursachen, die uns alle eine separate Diskussion und nähere Betrachtung wert sein sollten. Ein gewisses – auch belegbares – Selbstverschulden der Händeringer lässt sich jedoch dabei auf keinen Fall verleugnen. (Lisa Duschek, 10.10.2022)