Gehen ist eine feine Sache. Es hält gesund, stärkt die Beine und die Lungen, wirkt stimmungsaufhellend und hat zudem ein enormes Anti-Aging-Potenzial, sodass jedermann, der sich ein paar straffen Tageswanderungen unterzieht, danach so knusprig aussieht, als wäre er kopfüber in den sprichwörtlichen Jungbrunnen gefallen.

Eine neuere Errungenschaft als das Speisen im Gehen ist die Arbeit am Computer im Gehen.
Foto: AP/Mark Schiefelbein

Das Allerbeste am Gehen aber ist, dass man es mit Tätigkeiten aller Art kombinieren kann, allen voran mit Essen und Trinken. Der ambulante Verzehr geeigneter Speisen (kein Hummer, keine Bouillabaisse, wohl aber Pizzaecken mit nahrhaftem Analogkäsebelag oder Döner Kebab mit mindertriefender Füllung) ermöglicht es, zeitsparend eine respektable Körperfülle aufzubauen und sich damit vielleicht sogar als Model für eine Body-Positivity-Werbekampagne zu empfehlen. Wer lieber dünn bleiben will, kann sich ja den Kalorienverbrauch beim Gehen zunutze machen: Auf einer 14-Tage-Trekkingtour durchs Hochgebirge, wo Fastfood-Buden noch dünn gesät sind, kriegt man den Döner mühelos von den Rippen.

Eine neuere Errungenschaft als das Speisen im Gehen ist die Arbeit am Computer im Gehen. Das Notebook und erst recht der Standcomputer eigneten sich nicht als Utensil für ambulante Tätigkeiten, wohl aber das Handy. Dessen Erfolg als Gehhilfe ist inzwischen so groß, dass Fußgänger, die beim Gehen nicht ins Handy schauen, im Stadtbild unangenehm auffallen, als womöglich technophobe Sonderlinge.

Merke: Anständige Fußgänger geiern vom Anfang bis zum Ende ihres Weges konstant ins Handy, spielen dabei Candy Crush oder hören dem Lieblingsinfluencer zu und liefern pflichtbewusst ihre Geodaten an Facebook, Tiktok und Google. Damit man auch im Jahr 2040 noch zweifelsfrei feststellen kann, wann Sie am 21. Juni 2022 um 14.48 Uhr um welche Ecke gebogen sind!

Manchmal, wenn ich durch die Stadt flaniere, höre ich leise Klirrgeräusche. Sie rühren von den Zusammenstößen anderer Flaneure her, deren in Oberbauchhöhe gehaltenen Handys bei der Kollision aneinanderdengeln. Schmatzende und spritzende Geräusche deuten hingegen eher darauf hin, dass ein allzu sehr ins Scrollen vertiefter Fußgänger von einem SUV überfahren wurde. Wahrscheinlich werden wir erst aufs Metaverse warten müssen, damit solche Pannen nicht mehr passieren. (Christoph Winder, 25.9.2022)