Chris Thile galt schon mit 13 Jahren als Bluegrass-Wunderkind. Im Wiener Konzerthaus zeigt Thile sein neues Album "Laysongs", in dem er sich mit Isolation und Ausgrenzung befasst.

Josh Goleman

Auf dem Cover der CD steht Chris Thile an einer Hauswand und lächelt verschmitzt in die Kamera. Er trägt Mittelscheitel, blaues Hemd, schwarze Hose – und eine Mandoline um die Schulter. Seine rechte Hand greift die Saiten, der linke Arm lehnt lässig über dem Instrument. Die Songs heißen Slime Rock, Faith River oder Ship wrecked und klingen nach Südstaaten und Rodeo.

Als Thiles erstes Solo-Album 1994 erscheint, ist er 13 Jahre alt und gilt längst als Wunderkind der südkalifornischen Bluegrass-Country-Szene. Zusammen mit seinen Eltern Scott und Kathy reist er im Wohnmobil von Festival zu Festival, tritt mit den Geschwistern Sara und Sean in der Band Nickel Creek im Fernsehen auf und schreibt einen Song nach dem anderen.

Verrückt nach dem Sound

"Ich erinnere mich, dass ich von Anfang an von Musik umgeben war", sagte Thile in einem Interview. "Als ich ganz klein war, vielleicht drei oder vier, bekam ich einen Kassettenrekorder geschenkt. Meine Eltern hatten zu Hause ein Tape von Flatt & Scruggs, das ich rauf und runter spielte, vor allem das Stück Sally Ann mit dem grandiosen Banjo-Solo. Ich war verrückt nach dem Sound." Mit fünf bekommt Thile seine erste Mandoline geschenkt, nachdem er den Mandolinevirtuosen John Moore beim Pizzaessen in San Diego gehört hatte.

Thile ist noch ein Teenager, als Nickel Creek mit dem dritten Album Platin holt. Mit 25 gründet er das Quintett Punch Brothers, benannt nach der Mark Twain Kurzgeschichte Punch, Brothers, Punch. Mit Gitarre, Banjo, Kontrabass, Geige und Mandoline mischen die fünf Musiker den traditionellen Bluegrass auf – mit Progressive-Beats und einem rappenden Chris Thile, mit Beatles- und Radiohead-Covers. Sogar Claude Debussy ist mit von der Partie.

Nebenher experimentiert Thile auf diversen Soloalben, nimmt Musik mit Jack White auf, tritt mit dem Klavier-Jazz-Star Brad Mehldau, dem Banjovirtuosen Béla Fleck und dem Cellisten Yo-Yo Ma auf, moderiert die Folk-Varieté-Radioshow Live from Here und veröffentlicht eine CD mit Mandolinenversionen der Bach-Suiten

Musik gegen die Isolation

Derzeit ist der vierfache Grammy-Gewinner mit seinem neuen Album auf Tour. Laysongs entstand zum Teil während des Lockdowns und ist, so Thile, die musikalische Antwort gegen gesellschaftliche Isolation und politisch-religiöse Ausgrenzung. Nicht umsonst wurde Salt (in the Wounds) of the Earth während der Pandemie in einer umgebauten Kirche aufgenommen.

Außerdem zu hören sind ein Song über Dionysos, Coverversionen der Bluegrass-Legende Hazel Dickens’ (Won’t You Come and Sing for Me) und der Folksängerin und Aktivistin Buffy Sainte-Marie (God Is Alive, Magic Is Afoot).

Lied Nummer sieben ist eine Interpretation von Béla Bartóks Sonate für Solo-Violine; für Ecclesiastes wiederum ließ sich der 41-Jährige von Bachs Partita für Solo-Violine in E-Dur inspirieren. (Miriam Damev, 24.9.2022)