Premiere in Italien nach 76 Jahren Republikgeschichte: Erstmals nahm im Wahlkampf eine Frau die Favoritenrolle für das höchste Regierungsamt ein – bisher drangen ausnahmslos Männer in solche Sphären vor. Das ist im Prinzip zu begrüßen, kommt Italien damit doch endlich in der Gegenwart an – wäre da nicht der Hintergrund der wahrscheinlichen Wahlsiegerin Giorgia Meloni, Chefin der Fratelli d’Italia (Brüder Italiens). Diese Partei gilt als Sammelbecken zahlreicher Post- und Neofaschisten, bei denen Diktator Benito Mussolini noch heute offen verehrt wird.

Giorgia Meloni, Chefin der Fratelli d’Italia (Brüder Italiens), ist die wahrscheinliche Wahlsiegerin.
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Auch wenn Meloni versichert, zwar rechts, aber nicht extrem zu sein: Sie würde wohl kaum eine zukunftsgewandte Politik betreiben – und das bereitet Europa Sorgen. Diese scheinen viele Wählerinnen und Wähler in Italien aber nicht teilen oder wahrhaben zu wollen. "Die Rechten gewinnen ja ohnehin", war zuletzt oft zu hören, quittiert von einem Schulterzucken. Außerdem werde auch diese Regierung, so wie viele andere zuvor, nach ein paar Monaten Geschichte sein.

Solch selbstgefälliger Fatalismus ist wenig angebracht. Zwar ließ das Bündnis Melonis mit Matteo Salvini (Lega) und Silvio Berlusconi (Forza Italia) schon vor der Wahl erste Risse erkennen. Aber selbst wenn das rechte Experiment bald wieder scheitert: Der wirtschaftliche und politische Preis, den Italien für die zu erwartende Marginalisierung in Europa und die drohende Instabilität zu zahlen haben wird, ist allzu hoch. (Gianluca Wallisch, 24.9.2022)