Es ist ein fest eingespieltes Ritual, dass sich alle nicht unmittelbar betroffenen Politiker und Parteien nach Vorliegen des Wahlergebnisses auf größtmögliche Distanz begeben: Nein, da könne man nichts lernen daraus. Das Ergebnis sei zu sehr lokal bedingt. Oder von momentanen Zeitumständen, die in wenigen Wochen schon ganz anders sein könnten. Und natürlich von Personen. Das mag alles sein.

Und dennoch wissen alle Parteien, dass ein näheres Hinsehen lohnt. Denn diese Tiroler Landtagswahl hat zwar in einem besonderen Umfeld von Corona-Nachwehen, Kriegsängsten, Energiekrise und Teuerung stattgefunden – aber diese Umstände werden sich nicht so bald ändern. Die schwarzen und grünen Politiker, die diese Umstände für das Ergebnis (mit)verantwortlich gemacht haben, liegen wohl richtig.

Die SPÖ hat die Probleme des Alltagslebens angesprochen und in Aussicht gestellt, dass sie es ist, die aus diesen Schwierigkeiten herausführen könnte.
Foto: APA/EXPA/JOHANN GRODER

Was man daraus aber als allgemeingültige Lehre für künftige Wahlen ableiten kann: Wenn es gelingt, in solchen Krisensituationen einen klaren Führungsanspruch zu stellen und Führungsfähigkeit zu vermitteln, dann kann man zumindest einen beachtlichen Teil der Wählerschaft gewinnen.

Oder: zurückgewinnen. Denn die Tiroler ÖVP hatte viele bisherige Gefolgsleute verunsichert, die Bundes-ÖVP hatte ihre kurzfristige Strahlkraft verloren – blitzartig wurde ein ganz neuer Auftritt mit einem unverbrauchten Kandidaten durchgezogen und gerettet, was noch zu retten gewesen ist.

Mitgestaltungsanspruch

Bemerkenswert ist, dass die Sozialdemokraten im Prinzip dasselbe gemacht haben: Die SPÖ hat die Probleme des Alltagslebens angesprochen und in Aussicht gestellt, dass sie es ist, die aus diesen Schwierigkeiten herausführen könnte. Das hat besser gewirkt, als es das reine Prozentergebnis vermuten lässt: Die SPÖ konnte viele verunsicherte und enttäuschte frühere ÖVP-Wählerinnen und ÖVP-Wähler von 2018 für sich gewinnen – Menschen, die mit der allgemeinen Situation unzufrieden sind, aber deswegen nicht unbedingt das politische System umkrempeln wollen.

Dies wiederum hat sich auch als Mittel erwiesen, das die FPÖ-Zuwächse begrenzen und die Blauen von der Macht fernhalten kann: Das SPÖ-Angebot mit konstruktivem Mitgestaltungsanspruch hat bewirkt, dass die Enttäuschten eben nicht ins freiheitliche Lager gewechselt sind. Die FPÖ hat nur etwa halb so viele ehemalige ÖVPler angesprochen wie die SPÖ, obwohl die Inhalte, nicht aber die Form ähnlich waren.

Für Neos und Grüne, die beide konstruktiv, aber farblos agiert haben, gab es in dieser Situation wenig zu holen: Ihnen blieb in Tirol der Kern ihrer Fans zwar weitgehend treu, aber bei künftigen Wahlen wird es darauf ankommen, das Vertrauen in die Umsetzungskompetenz zu stärken. Was nicht leicht wird: Beide haben es versucht, beide sind nicht durchgedrungen, sie bekamen zu wenig Aufmerksamkeit.

Das hat auch, womit wir bei der echten Tiroler Besonderheit sind, mit der Liste Fritz zu tun, die sich erfolgreich als politisches Gewissen und Anlaufstelle für Unzufriedene positioniert hat. Was tatsächlich nur regional funktioniert. (Conrad Seidl, 26.9.2022)