Montagabend sagte Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer mit bedauerndem Unterton, der Westen führe einen "Wirtschaftskrieg" gegen Russland. Stimmt. Nur hat Mahrer vergessen dazuzusagen, dass Putin einen ultrabrutalen richtigen Krieg gegen einen europäischen Staat führt. Und dass dieser Krieg gegen die Ukraine Teil eines imperialistischen Konzepts ist, das letztlich in einer Zerschlagung der EU, der Vertreibung der USA vom Kontinent und in einer russischen Dominanz über Europa enden sollte.

Das muss man sich vor Augen halten, wenn man ausloten will, wie diese größte Krise seit 1945 enden kann und soll.

Kenner von Wladimir Putins Psyche gehen davon aus, dass er deswegen besonders gefährlich ist, weil er es sich nicht leisten kann zu verlieren.
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Spurensuche: Im Jahr 1994 sagte der damals vollkommen unbekannte, 41-jährige Wladimir Putin bei einer Tagung der deutschen Körber-Stiftung in Sankt Petersburg, Russland habe "freiwillig riesige Territorien an die ehemaligen Republiken der Sowjetunion abgegeben; darunter auch solche, die historisch immer zu Russland gehört haben". Unausgesprochener Nachsatz: Die können/müssen wir uns zurückholen. Über die Jahre und im Zuge seines Aufstiegs baute Putin seine Argumentationslinie immer mehr aus: Der Westen versuche, Russland immer mehr in die Enge zu drängen, weshalb man – er – sich durch eigene Expansion wehren müsse. Der Westen hat lange nicht zugehört. Obwohl – es gab warnende Stimmen. Der Historiker Timothy Snyder brachte es schon 2014 in einem Interview mit der Zeit auf den Punkt: "Der große Plan ist, die EU zu zerstören. Diese Idee geht davon aus, dass die EU eine ideologische Bedrohung für Russland darstellt." Weil sie erfolgreich und demokratisch ist – und so auf frühere "russische Territorien" wie die Ukraine einen Sog ausübt.

Dominanzansage

Sogar die berühmte Rede Putins vor dem Deutschen Bundestag 2001, die mit Standing Ovations begrüßt wurde, kann man als Dominanzansage lesen: Europa könne "ein mächtiger und real selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik" sein, wenn es seine eigenen Möglichkeiten "mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen, mit den Wirtschafts-, Kultur und Verteidigungspotenzialen (sic!) vereinigen wird". Übersetzung: Vergesst die Amis, verbindet euer Schicksal mit Russland.

Bisher ist Putins Plan allerdings in der Ukraine schiefgegangen. Nahezu aller Kenner seiner Psyche gehen davon aus, dass er deswegen besonders gefährlich ist, weil er es sich nicht leisten kann zu verlieren.

Was tun? Nach Berichten in NYT und Washington Post wirken US-Militärs derzeit auf die Ukraine ein, sich mit "gemäßigten Erfolgen" zufriedenzugeben, das heißt, die Idee einer vollständigen Rückeroberung des Donbass und der Krim fallen zu lassen. Das Problem dabei: Putin wird diese Gebiete demnächst annektieren, damit sind sie heilige russische Erde, die notfalls mit taktischen Nuklearwaffen zu verteidigen ist. Wobei ihn die Amerikaner für diesen Fall immer nachdrücklicher vor "schwersten Konsequenzen" warnen, die aber wohl nichtnuklear wären. Die einzige Strategie für den Westen dürfte sein, Russland einzudämmen, ein "containment"wie seinerzeit bei der Sowjetunion. Und darauf zu warten, dass die Sanktionen und die Zwangsrekrutierungen in der russischen Mittelschicht einen Veränderungswillen schaffen. (Hans Rauscher, 28.9.2022)