Schon mehr als eine Stunde bevor der Prozess rund um die getötete 13-jährige Leonie W. begann, wurde es eng im Wiener Straflandesgericht. Es hatte sich eine regelrechte Traube aus Fernsehkameras und Mikrofonen vor dem Saal 303 gebildet, die noch dichter wurde, wenn einer der in dem Fall relevanten Anwälte um die Ecke bog.

Das Medieninteresse an der beklemmenden Tat von mutmaßlich drei Afghanen im Juni 2021 war riesig. Im Raum steht, dass die Männer die Minderjährige in der Wohnung zweier Angeklagter in Wien-Donaustadt mit Drogen zunächst gefügig gemacht und sie dann vergewaltigt haben – mit Todesfolge. Danach wurde sie leblos an einen Baum gelehnt von Passanten entdeckt.

In sechs bis sieben Prozesstagen soll nun rekonstruiert werden, welchen Anteil die jungen Afghanen jeweils am Tod von Leonie W. gehabt haben könnten. Ein Urteil wird am 6. Oktober erwartet.

Vorgeworfen wird allen Angeklagten die Vergewaltigung mit Todesfolge sowie der schwere sexuelle Missbrauch einer Minderjährigen. Die Beschuldigten belasteten sich im Laufe der Ermittlungen teils gegenseitig und erzählten unterschiedliche Versionen darüber, was in jener Nacht passiert sein soll.

Die Angeklagten kamen mit Verspätung, verdeckten Gesichtern und umringt von Polizeibeamten in den Verhandlungssaal des Wiener Straflandesgerichts.
Foto: APA/ Helmut Fohringer

Mit einer halbstündigen Verspätung betraten die Angeklagten gesammelt den Gerichtssaal, umringt von acht Polizeibeamten. Mit weißen A4-Zetteln verdeckten die angeklagten Männer ihre Gesichter im Blitzlichtgewitter. Die Familie von Leonie W. blieb dem Prozess fern.

Zu Beginn umriss die Staatsanwaltschaft noch einmal die Anklage gegen "Zubai", "Haji" und "Ramesh". So lauten die Spitznamen der jungen Afghanen. "Zubai", der zwischenzeitlich nach London geflüchtete 23-jährige Erstangeklagte, kam 2015 nach Österreich, ist bereits dreimal wegen Suchtgifthandels vorbestraft und saß im Gefängnis. Er filmte einen Teil des mutmaßlichen Sexualverbrechens mit seinem Handy. Ermittler fanden die Aufnahme in seiner iCloud.

"Haji" (19) wohnte laut Anklage gemeinsam mit "Zubai" in der späteren Tatwohnung in Wien-Donaustadt. Auch der Zweitangeklagte kam 2015 ins Land und ist ebenfalls mehrfach vorbestraft.

"Ramesh" kam erst wenige Wochen vor Leonie W.s Tod über Serbien nach Österreich. Er baute über Instagram den Kontakt zu dem 13-jährigen Mädchen auf und will eine Beziehung mit ihr geführt haben. Das wird allerdings von Zeugen bestritten. Vielmehr sei der bisher unbescholtene Angeklagte schon zuvor als äußerst übergriffig aufgefallen. Überdies gibt es Zweifel am Alter von "Ramesh". Dieser könnte laut einem Gutachten zur Tatzeit zumindest 18 Jahre alt gewesen sein und nicht jünger, wie er angegeben hat.

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft sollen die drei Männer in der besagten Wohnung unbemerkt sieben Ecstasy-Tabletten in einem Getränk aufgelöst und anschließend Leonie W. gegeben haben. Danach hätten sich "Zubai", "Haji" und "Ramesh" an dem Mädchen vergangen. Leonie W. verstarb schließlich an einer Überdosis und durch Ersticken.

Schuldig bekannte sich allerdings nur einer der Angeklagten: der Wohnungsinhaber "Haji". Das gab sein Anwalt Thomas Nirk schon kurz vor Prozessbeginn bekannt. Jener Mann wird allerdings erst am Mittwoch am Wort sein.

Weniger einsichtig zeigte sich hingegen "Zubai" in der ersten Einvernahme vor Gericht. Dieser entschuldigte sich zwar bei der Familie des Opfers, will aber weiterhin nichts Inkriminierendes angestellt haben. Im Gegenteil: "Zubai" blieb bei seiner recht fragwürdig anmutenden Geschichte, die er schon den Ermittlern erzählt hatte.

Nächtliche Automatensuche

Er habe lediglich einvernehmlichen Sex mit Leonie W. gehabt, sie habe sich zudem als 18-Jährige ausgegeben. Von "Ramesh" sei ihm erzählt worden, dass sich das junge Mädchen gegen Geld prostituiere. "Zubai" habe 50 Euro für 15 Minuten bezahlt. Sie habe sich geduscht, und es sei zum Sex gekommen. Ein Kondom habe er nicht verwendet, weil er keines gehabt habe. Danach sei er schlafen gegangen. Das Geld wurde allerdings nie gefunden.

Ab dann wird die Erzählung nicht weniger ominös. Geweckt worden sei "Zubai" durch einen Streit zwischen "Haji" und "Ramesh". Da sei herausgekommen, dass Leonie W. Ecstasy mit Alkohol konsumiert habe. Auf die Frage, ob das Mädchen die Rettung oder ein Taxi brauche, habe sie mit Nein geantwortet, erzählte der Erstangeklagte. Über einen Freund, den er angerufen hat, will "Zubai" dann erfahren haben, dass man Leonie W. Cola und Zitronensaft geben solle, um ihren Zustand zu verbessern. Dafür habe der junge Mann die Wohnung verlassen, um mitten in der Nacht einen Cola-Automaten zu suchen. Er sollte ihn nicht finden.

Bei seiner Rückkehr habe er "Ramesh" gesehen, der mit einer regungslosen Leonie W. Sex gehabt habe. "Haji" soll die Szenerie gefilmt haben. Das tat "Zubai" dann laut eigenen Angaben ebenso, um einen "Beweis" zu haben, falls dem Mädchen etwas passiere. Erst dann habe er "Ramesh" weggezogen.

Eine Geschworene stellte dann eine Frage, die im Gerichtssaal wohl vielen auf der Zunge lag. Warum rief niemand die Rettung, obwohl sich der Zustand des Mädchens laufend verschlechtert hatte. Vielleicht wäre das besser gewesen, sagte "Zubai". Aber er sei gerade im Gefängnis gewesen und habe Panik gehabt. (Jan Michael Marchart, 27.9.2022)