Marc Bolan zähmte den Tiger der Unterhaltungsindustrie mit Boogie-Rock: ein rätselhafter Götterliebling (hier 1972).

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Die Popgötter des Jahres 1971 hießen John Lennon, Rod Stewart, Keith Emerson – und Marc Bolan, ein zauberlockiger Jüngling aus dem Ost-Londoner Stadtteil Hackney. Stars wie Lennon oder Emerson kannte man vom Hörensagen: von sehnsuchtsvollen Blicken durch die matt getönten Scheiben ihrer Rolls Royces.

"Unnahbar" seien Lennon und Co laut Ansicht des Melody Maker geworden. Es gab lediglich einen, dem man Anfang 1972 den Schulterschluss mit hunderttausenden Heranwachsenden zutraute. Bernie Taupin, Elton Johns Songwritergehilfe, war sich zu diesem Zeitpunkt sicher: "Wenn wer es schafft, den Rock’n’Roll zu retten, ihn vor bornierter Selbstüberschätzung zu bewahren, dann ist es Marc Bolan."

Und Bolan, der heute Freitag 75 Jahre alt geworden wäre, tat wie ihm geheißen. Schüttelte die Korkenzieherlocken und verteilte großzügig Glitzerstaub. Als nicht mehr praktizierender Hippie hatte Bolan "Tyrannosaurus Rex" zu "T. Rex" verkürzt. Aus einem Folk-Duo war ein Boogie-Rockvehikel geworden.

Die Musik? Stampfte gefällig, Produzent Tony Visconti hatte tapfer Gitarrenspur über Gitarrenspur gelegt. Tatsächlich trafen Songs wie Get It On und Jeepster anno 1971 auf offene Ohren. Seit dem Kollaps der Beatles schien ein Loch im Gefüge der Unterhaltungsindustrie entstanden. Es harrte seiner Befüllung mit Götter-Input.

Im Duckwalk

Irgendein Elfenwesen hatte Bolan vor Aufzeichnung von Top of the Pops Glitzersternchen unter die Augen geklebt. Im Nu war "Glam" geboren. Für die Dauer einer Mikrosekunde berührte ein Musiker, wie es tausend andere gab, die Herzen zahlloser britischer Jugendlicher. Kroch im Duckwalk über die Bühne und ließ sich von Ringo Starr, dem Ex-Pilzkopf mit den glühend heißen Drähten nach Hollywood, beim feierlichen Hochamt im Wembley Empire Pool (März 1972) filmen. Zum schütteren Geklapper der Congas von Mickey Finn stand Bolan immer heftiger unter der Wirkung des eigenen Rituals. Frohlockte, schüttelte die Mähne, geriet in Verzückung – und absolvierte die weitere Karriere als Ikarus, der sich im Aufwind dünkt. Der Götterliebling als Krypto-Versager im Sinkflug.

Währenddessen redete man ihm ein, es gehe bergauf. Der ohnehin zur Entrückung tendierende Star, dessen Erscheinung eben noch alle Geschlechtergrenzen dementiert hatte, welkte rapide. Seine Merkwürden verbarg sich immer öfter hinter dicken Flauschvorhängen. Bolan musste zusehen, wie sein alter Kumpel David Bowie als Ziggy Stardust die Gesetze der Schwerkraft nachhaltiger aufhob, als ihm das jemals gelungen war. Bolan fand noch Zeit, um zu stammeln: "Ohne die geringste Respektlosigkeit: David spielt nicht in meiner Klasse!"

Währenddessen krähten Provinzvögel wie Slade bereits ihr glitzerproletarisches Mama Weer All Crazee Now. An Britanniens Gestaden galten noch die Gesetze der "T. Rextasy", da wurden in den USA bereits Köpfe geschüttelt. Paul Simon verließ lange vor Ende der T.-Rex-Show kommentarlos die New Yorker Venue: Bolan hatte zu tief ins Glas geguckt. Oder war ihm das Fluidum abhandengekommen? Bolan warb für sich: Er sei ehrlicher als all die anderen Möchtegerns. Doch die brillante T.-Rex-Single Telegram Sam war noch nicht verklungen, da platzten die ersten Messdienerinnen aus ihren Seidenhosen. Wer braucht Zauberer, die mit Aufrichtigkeit renommieren?

Kontakt mit dem Weltgeist

Natürlich veröffentlichte Marc Bolan die kommenden Jahre ein paar hochinteressante Singles (20th Century Boy). Für wenige Augenblicke hatte Bolan auf The Slider die herrlichste Popmusik des Planeten erschaffen, synkopierte Riffs, zu denen ein "kosmischer Botschafter" Nonsens singt.

Für Bekehrungswillige wurde heuer ein Compact-Disc-Set aufgelegt, das die gesammelte Ernte des T. Rex-Jahres 1972 enthält. Man spürt förmlich den heftigen Kontakt, den Bolan damals mit dem Weltgeist aufnahm. 1977, wenige Tage vor seinem 30. Geburtstag, verunfallte der Star in einem Austin Mini tödlich. Da hatten Punkrocker, Wüstlinge mit verunreinigter Gesichtshaut, bereits von Bolan als "Daddy" gesprochen. Ihn muss das auf seiner Wolke später amüsiert haben. Wie sang er in Spaceball Ricochet: "I’m just a man / I under-stand the wind / And all the things / That makes the children cry". (Ronald Pohl, 30.9.2022)