Im Gastblog schreibt Christian Kreil über den Präsidentschaftskandidaten Heinrich Staudinger und dessen Weltbild.

Am kommenden Sonntag um 17 Uhr werden die berühmten Balken der ersten Hochrechnung über unsere Bildschirme flimmern und die drohende Bürde des Amts eines Bundespräsidenten wird nicht länger auf den Schultern Heinrich Staudingers lasten. Der Wahlkampf verlief für den Kandidaten für das höchste Amt im Staat durchwachsen. In einem Interview bei Corina Milborn auf Puls 24 orakelte Staudinger, dass die MeToo-Bewegung vom CIA erfunden wurde. Das habe er von einem bekannten österreichischen Filmemacher erfahren. 

Staudinger gefällt sich in der Rolle als Rebell

Staudinger ist Schuhfabrikant im Waldviertel und wird - vor allem ob seiner Wickel mit der Finanzmarksaufsicht - gerne als Schuhrebell tituliert. Das Image des Rebells gefällt Staudinger offenbar so gut, dass er die Bühnen, auf denen er rebelliert, nicht hinterfragt. Staudinger, einer der Promi-Unterzeichner eines Aufrufs gegen die Impfpflicht, nahm eigenen Angaben nach, an vielen Corona-Demos teil und dabei kaum irritierendes wahr: "Ich habe das richtig kränkend und eine Beleidigung gefunden, dass Impfkritiker als Rechtsradikale oder Verschwörungstheoretiker abgestempelt werden. Ich war bei vielen Demos und habe dort keinen einzigen Rechtsradikalen gesehen."

Wer ihm eine Bühne bietet, das kümmert Staudinger nicht

Schon im Jahr 2014 hat Staudinger nicht allzu viel bemerkt vom Charakter der Leute, die ihm eine Bühne bieten. Auf einer Friedensmahnwache in Linz wetterte der Unternehmer gegen das Bankensystem und die Finanzmarktaufsicht. Die Friedensmahnwachen poppten nach der Annexion der Krim durch Russland allerorten auf und verbreiteten dort ein manichäisches Bild der Weltpolitik. Putin kam darin gut weg, der Westen, die Ukraine, die EU und Israel schlecht. Damit nicht genug: Von dem einen oder anderen Redner der bizarren Kundgebungen erfuhr man, dass die "Rothschilds und Warburgs" mit der Schaffung von "Geld aus dem Nichts" einen Reibach machen, ein junger Redner stellte schon mal keck die Frage, warum in Deutschland nach 1945 mehr Juden lebten als zuvor. Hie und da schauten Joe "Freeman" Kreissl und seine Freunde aus dem Staatsverweigerer-Soziotop vorbei, auch die Szene des Schweizer Sektengurus Ivo Sasek machte Stimmung, hie und da heulte ein selbsternannter Schamane den Himmel an, um den Frieden in uns selbst zu entdecken. Ein kleiner Rundblick auf die via Youtube gut dokumentierten Friedensmahnwachen reicht, um zu wissen: Antisemitismus, Esoterik und Putintrollerei, das sind die gemeinsamen Nenner dieser Sausen. Um die machte einen Bogen, wer auf seine Seriosität etwas hält. Staudinger hielt dort Hof und hatte seine Freude, wenn er mit dem Publikum die Widerstandsballade "Nicola und Bartolomä" trällert.     

Ein besonderer Gast Staudingers: Ken Jebsen

Ein Rebell ist auch Ken Jebsen. Der auch unter dem Label Ken FM bekannte Aktivist und Autor ist laut Spiegel Deutschlands erfolgreichster Verschwörungstheoretiker. Den Ruf hat er sich hart erarbeitet, seit er im Jahr 2011 seinen Job beim Radio Berlin-Brandenburg verloren hat. Der Grund dafür: In einem E-Mail flachste er, er wisse, "wer den Holocaust als PR-Gag erfunden hat". Staudinger streift bei Jebsen nicht nur an, er gönnt sich einen ganzen Tag mit dem offenbar untadeligen Herrn in seinem Unternehmen. Jebsen dreht ein Interview mit Staudinger, der auf seiner Webseite Entwarnung gibt: "Außerdem kann ich euch noch erzählen, dass wir (ich und meine Leute) einen ganzen Tag mit Ken und seinem Team verbracht haben. Es gab dabei den ganzen Tag nicht einen Hauch von Antisemitismus, von Rassismus oder irgendwelchen Verschwörungsbehauptungen." 

Ab Montag darf Staudinger wieder einladen, wen er will. Wir sind froh darüber, dass er das nicht von der Hofburg aus tun wird. (Christian Kreil, 6.10.2022)

Christian Kreil ist für den Facts Heroes Award 2022 der Organisation Der goldene Aluhut nominiert. Er bloggt seit drei Jahren rund um Esoterik, Verschwörungsplauderei und Pseudomedizin. Im Vorjahr erschien sein Buch "Fakemedizin".

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