Haben Sie sich schon überlegt, wen Sie am 9. Oktober wählen werden? Eine aktuelle STANDARD-Umfrage zeigt: Viele Österreicherinnen und Österreicher wissen es noch nicht. Und man kann es den Betroffenen kaum verübeln. Wer mit Alexander Van der Bellen unzufrieden war, kein Verschwörungstheoretiker oder stramm Rechter ist und sich einen seriösen Präsidenten – oder gar eine Präsidentin – wünscht, hat eigentlich keine Optionen.

Amtsinhaber Van der Bellen stand für Diskussionen mit den anderen nicht zur Verfügung
Foto: © Christian Fischer

Es stehen zwar so viele Kandidaten zur Wahl wie noch nie. Aber wer nicht längst schon wusste, dass die meisten von ihnen völlig ungeeignet sind für den höchsten Job im Staat, der wurde davon im Wahlkampf eindrucksvoll überzeugt. Diese Wahl ist zu einem Schauspiel verkommen. Es wird geschimpft und gehetzt, nebenbei werden die krudesten Thesen verbreitet. Das Ziel der meisten Hofburg-Aspiranten ist nicht das Amt, es sind Schlagzeilen, Propaganda, Publicity. Eine Handvoll Männer, denen von anständigen Medien sonst selten ein Mikrofon unter die Nase gehalten würde, kann sich derzeit im Namen der Bundespräsidentschaft über Wochen hinweg profilieren – auf Kosten eines ernsthaften politischen Diskurses.

Die fast größte Überraschung ist Heinrich Staudinger, dessen Weltsicht noch skurriler ist als ohnehin vermutet. Die in den USA fußende MeToo-Frauenrechtsbewegung sei "von der CIA entwickelt worden", ist er überzeugt. Das habe ihm ein Filmemacher erzählt. Gerald Grosz will die Regierung "mit nassen Fetzen verjagen". Tassilo Wallentin und FPÖ-Mann Walter Rosenkranz wettern mit Leidenschaft gegen die EU. Die meisten der Präsidentschaftskandidaten sind glühende Impfskeptiker oder gar Corona-Leugner. Vernünftige, abwiegende Positionen sind die Ausnahme in diesem Wahlkampf um ein Amt, das vor allem Vernunft und Ausgewogenheit verlangt.

In Umfragen schneidet Bierpartei-Gründer Dominik Wlazny inzwischen erstaunlich gut ab. Der ist erfrischend ungecoacht und ehrlich, aber wohl kaum das, was sich die Mehrheit der Menschen als Präsidenten wünscht.

Unaufgeregt bis träge

Amtsinhaber Van der Bellen übt sich in nobler Zurückhaltung. Sein Wahlkampf war unaufgeregt bis träge, für Diskussionen mit den anderen stand er nicht zur Verfügung. Angesichts der Gegnerschaft ist das nachvollziehbar, aber bedauerlich. Die anderen Hofburg-Anwärter können unter sich ihre Theorien austauschen – ohne ernsthaftes Gegengewicht. Die Herausforderer wurden spätestens dabei entzaubert – doch für viele ist das auch der Amtsinhaber: Sonst müsste er nicht zittern, ob es trotz allem zu einer Stichwahl kommt.

Vorhalten muss man den Status quo ÖVP und SPÖ. Die zwei größten Parteien im Land unterstützen lahm Van der Bellen. Eine interessante Alternative wollten beide nicht aufstellen. Ja, ein Wahlkampf kostet, aber Demokratie ist keine Geldverschwendung. Wer die Meinung vertritt, dass es sich gegen Amtsinhaber nicht anzutreten lohnt, müsste andenken, die präsidiale Amtszeit zu verlängern und eine Wiederwahl zu verbieten.

Wahlkämpfe sind in Österreich schon vor längerer Zeit zum schmutzigen Spektakel verkommen. Wenn Demokratie nicht so wichtig wäre, könnte man gaffen und lachen. Doch es geht um zu viel – auch und gerade beim Präsidenten. Den vernünftigen politischen Kräften im Land sollte diese Wahl unabhängig vom Ausgang ein Denkzettel sein. (Katharina Mittelstaedt, 3.10.2022)