Evolution oder Revolution? Eine aufmüpfige grüne Basis ist nicht zu unterschätzen.

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Eine noch recht karge Website, eine freundliche Einladung zu einem Stammtisch im Café Siebenbrunnen an die Margaretner Bevölkerung und ein klingender Slogan. Das kann Thomas Kerekes nach knapp drei Wochen als Quasieinzelkämpfer in der Wiener Bezirkspolitik vorweisen. Diese Rolle ist eine bewusst gewählte: Mitte September sagte sich Kerekes von seiner Partei, den Grünen, los. Sein Amt als Vizevorsteher des fünften Bezirks behielt er – um "unabhängig" seine politische Arbeit fortzuführen. Sein dafür gewähltes Motto: Transforming Margareten.

Kerekes blieb mit seinem Schritt nicht alleine – weder innerhalb noch außerhalb des Bezirks. In Margareten legte Bezirksrat Michael Feitsch seine Grünen-Mitgliedschaft zurück. Am Alsergrund verließ Langzeitvizevorsteherin Momo Kreutz den grünen Klub im Bezirksparlament – aus Solidarität mit den Bezirksräten Norbert Doubek und Richard Prack (nicht verwandt mit Gemeinderat Georg Prack), die bereits zuvor aus der Fraktion ausgeschlossen worden waren. Parteiübergreifende Arbeit – soll heißen: mit der SPÖ – sei von grüner Seite nicht (mehr) gewünscht, lautete der Tenor der "Abtrünnigen".

Die grüne Doppelspitze in Wien: Judith Pühringer und Peter Kraus.
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Das kann als versteckte Kritik am grünen Führungsduo Peter Kraus und Judith Pühringer gelesen werden. Die Doppelspitze ist seit dem Rauswurf der Grünen aus der Rathauskoalition vor ziemlich genau zwei Jahren damit beschäftigt, die Partei von ihrer einstigen Rolle als Regierungsfraktion zu entwöhnen und ein Profil als Oppositionskraft zu entwickeln. Können ihnen die Querschüsse aus den Bezirken gefährlich werden?

Widerstand hat Tradition

Eine aufmüpfige grüne Basis ist jedenfalls nicht zu unterschätzen. Das bekam schon die ehemalige grüne Vizebürgermeisterin Wiens, Maria Vassilakou, zu spüren. Diese brachte allerdings eine ganze Bezirksorganisation gegen sich auf – die der Inneren Stadt. 2017 forcierte Vassilakou als Planungsstadträtin ein Projekt, das den Grünen im Ersten gar nicht zugesagt hatte: ein Hochhaus am Heumarkt.

Die Basis machte Stunk, die Grünen führten die bis dahin erste und bis heute letzte Urabstimmung durch. Haarscharf gewannen Vassilakous interne Gegner den Kampf um den Heumarkt. Im Gemeinderat stimmten die Mandatarinnen und Mandatare – darunter auch Kraus – jedoch trotzdem für das Projekt.

Die liebe grüne Not mit der Basis: Maria Vassilakou zog sich 2018 zurück.
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Was folgte: Rücktrittsaufforderungen an Vassilakou aus den eigenen Reihen, am lautesten von Innenstadt-Klubchef Alexander Hirschenhauser. Knapp ein Jahr später trat Vassilakou zurück, Hirschenhauser hat sein Amt bis heute.

Spaltung und Versöhnung

In der Josefstadt kosteten Streitereien in der lokalen Organisation die Grünen sogar einmal einen ganzen Bezirk. Vor der Wien-Wahl 2010 spaltete sich der damalige grüne Bezirkschef Heribert Rahdjian mit einer eigenen Liste ab, der Vorsteher-Posten ging an die ÖVP.

2020 drehten die Grünen den Spieß um. Die zerstrittenen Flügel versöhnten sich, seither regiert mit Martin Fabisch wieder ein Grüner den Bezirk – ein Erfolg, den die Partei gut brauchen konnte. Das zeigt einmal mehr: Harmonie in den Bezirksorganisationen ist definitiv im gesamtparteilichen Interesse.

Gelassene Landesorganisation

Hört man sich in der Partei um, ist angesichts der Abgänge im fünften und neunten Bezirk kaum Unruhe zu spüren. Die Art und Weise sei zwar unerfreulich, aber gewissermaßen programmiert gewesen. Kreutz sei für die aktuelle Periode nicht mehr zur Vizevorsteherin gewählt worden und habe nun einen "Exit" gefunden, heißt es. Und dass Kerekes, der 2020 wegen eines krankheitsbedingten Ausfalls als Spitzenkandidat eingesprungen war, zwar eine rasche, aber womöglich nicht die beste Besetzung gewesen sei, sei auch klar gewesen. (Oona Kroisleitner, Stefanie Rachbauer, 4.10.2022)