Im Gastblog analysiert der Jurist Nikolaus Forgó das ZiB-2- Interview mit Gesundheitsminister Johannes Rauch.

Seit der Angelobung von Donald Trump kennen wir den Ausdruck von "Alternative Facts". Nachdem tagelang über die Zahl der Besucher bei seiner Angelobung gelogen worden war, wurden die absurd hohen Zahlen schlicht zur alternativen Realität erklärt - so, als handelte es sich bei ihnen um eine Meinung, über die man trefflich diskutieren könne.

Seit Corona kennen wir den Ausdruck von Fake Law - wir verdanken ihn (meines Wissens) einem im Rechtspanorama erschienenen Kommentar von Heinz Mediz und Georg Negwer. Gemeint ist damit die Beschreibung eines Rechtszustands durch einen "Kompetenten" oder einen "Experten", die nicht der Rechtslage entspricht.

An beides erinnerte das ZiB-2-Interview des Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch am 4.10.2022. Da dieses leider dank des auch insoweit sehr unglücklichen ORF-Gesetzes nach einer Woche im Nichts verschwinden wird, die Aussage aber auch rechtshistorisch bedeutsam ist, sei die entscheidende Passage hier wörtlich transkribiert (Wiedergabe gesprochener Rede, alle Hervorhebungen von mir):

Rauch antwortet auf die Frage, ob die Wiedereinführung einer Maskentragungspflicht in Innenräumen oder vergleichbare Maßnahmen nicht angezeigt seien, wie folgt:

"Ich habe auch eine gesetzliche Grundlage, es ist die Verfassung, es muss die Angemessenheit der Maßnahmen gegeben sein und die Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit bemisst sich am Belastungszustand des Gesundheitssystems. Der Punkt, um Ihre Frage zu beantworten, ist dann gekommen, wenn ich den Eindruck habe, entlang der Zahlen, und ich bin im Austausch auch mit den Krankenhäusern, dass dort die Situation eskaliert, bedrohlich wird, ein Notstand entsteht, dann ist der Zeitpunkt, die Maskenpflicht wieder einzuführen."

Vier Gründe für "Fake Law"

Das ist - abgesehen von der doch sehr laienhaft verkürzten Darstellung einer verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung und abgesehen von der undifferenzierten Gleichhaltung sehr unterschiedlich eingriffsintensiver Maßnahmen - vom eher banalen Maskentragen bis zum Total-Lockdown -  aus mindestens vier Gründen unzutreffend und also meines Erachtens "Fake Law".

Erstens dürfen Verkehrsbeschränkungen (dazu zählt auch eine Maskentragungspflich) nach § 7b Abs 2 Epidemiegesetz nur erlassen werden, "wenn [...]  die Verkehrsbeschränkungen erforderlich sind, um die Weiterverbreitung der [...] Krankheit zu verhindern." Hier ist gerade nicht von einer auch noch auf die Belagsituation in Krankenhäusern heruntersimplifizierten Überlastung des Gesundheitssystems die Rede, sondern von einer (verhältnismäßigen) Verhinderung einer (unkontrollierten) Weiterverbreitung einer auch langfristig sehr gefährlichen (Long Covid!) Erkrankung und ihren Auswirkungen. Manfred Matzka hat auf interessante Haftungsfragen im Zusammenhang hingewiesen (auch in diesem Video):

Department of Innovation and Digitalisation in Law

Zweitens ist den Normen natürlich nicht zu entnehmen, dass es auf den persönlichen Eindruck des Ministers ankomme ("wenn ich den Eindruck habe"). Das ist eine entlarvende Selbstüberschätzung der Person. Vielmehr geht es hier zunächst um Fakten - in concreto, in der (verkürzten) Argumentation des Ministers, um die (drohende) - tatsächliche - Überlastung des Gesundheitssystems, auf die hin verhältnismäßige Maßnahmen zu treffen sind. Die Fakten nun, freilich, zeigen seit Wochen eine so beunruhigende Entwicklung, dass inzwischen selbst das von der Regierung eingesetzte Beratungsorgan Corona-Kommission eine Wiedereinführung der Maskenpflicht nahelegt. Im letzten Bericht der Kommission vom 29.9.2022 heißt es wörtlich: "Vor allem aufgrund saisonaler Einflüsse (relativ kühler September) und der höheren Kontakthäufigkeit (Arbeit und Schule) seit dem Ende der Urlaubszeit kommt es zu dem erwarteten Ansteigen der Fallzahlen und damit auch der Hospitalisierungen. Sollte sich diese Entwicklung weiter fortsetzen, empfiehlt die Corona-Kommission rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen zu setzen. Als vergleichsweise wenig einschränkende, aber gut wirksame Maßnahme sollte vor allem eine FFP2-Maskenpflicht, insbesondere in öffentlichen Verkehrsmitteln, im Lebensmittelhandel und in Apotheken, in Betracht gezogen werden. "

Wer schützt uns vor möglichen Alternative Facts des Ministers?

Vertrauen verloren

Drittens ist die - geradezu an Carl Schmitt und an Bergamo erinnernde - martialische Bezugnahme auf eine eskalierende Situation, einen Notstand, den Normen nicht zu entnehmen. Bei Carl Schmitt hieß es bekanntlich, souverän sei, wer über den Ausnahmezustand entscheide. Meint das (und sich) damit der Minister? Mit guten Gründen ist Schmitt unter Demokraten verfemt.

Da, viertens, Infektionen bekanntlich Inkubationszeiten haben und Krankenhausaufenthalte in der Regel erst Tage nach Symptombeginn notwendig werden, ist die Ankündigung von Maßnahmen im dann bereits eingetretenen Notstand des Gesundheitssystems (verkürzt verstanden als Überlastung der Krankenhäuser) ungefähr so, wie die Ankündigung eines auf eine Wand zufahrenden Autofahrers, ohnehin zu bremsen, sobald die Kollision erfolgt ist. Sie ist also offensichtlich ungeeignet (und schon deshalb nicht verhältnismäßig).

Fake Law also. Und wozu führt das? In einem Bericht, des dem Bildungsminister leider zu lange unbekannt gebliebenen Corona-Panels-Projects, kann man zum Vertrauen der österreichischen Bevölkerung während der Entwicklung der Pandemie nachlesen: "Die österreichische Bundesregierung und das Parlament haben im Zeitverlauf [der Pandemie] stärker an Vertrauen verloren [als Wissenschaft und Gesundheitswesen]. Im Zuge der Inseratenaffäre ging darüber hinaus weiteres Vertrauen verloren, so dass diesen Institutionen inzwischen am wenigsten Vertrauen geschenkt wird."

Warum wohl? Und wozu führt das? (Nikolaus Forgó, 6.10.2022)

Weitere Beiträge im Blog