Den Mund verbieten lässt sich Musk nicht, auch wenn manche seiner Aussagen nicht nur auf Zustimmung treffen.

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Es sei "moralischer Schwachsinn", was Tesla-Chef Elon Musk zuletzt in einem Tweet in den Raum gestellt habe, schrieb der russische Regimekritiker Garri Kasparow am Montag auf Twitter. Musk reagierte barsch: "Was hast du bis jetzt, außer Tweets zu schreiben, gemacht?" Eine verbale Ohrfeige für einen Mann, der seit Jahren gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin das Wort erhebt.

Streitgespräch

Ausgangspunkt für die öffentliche Diskussion der beiden Prominenten war ein Tweet von Musk, in dem er ein mögliches Szenario für den Krieg zwischen der Ukraine und Russland zeichnete. So schlug Musk unter anderem von den Vereinten Nationen begleitete Wahlen in den annektierten Regionen vor, die bei einer Abwahl Russlands einen Rückzug der Truppen bedeuten sollten. Außerdem solle die Ukraine neutral bleiben und nicht der Nato beitreten. Der als Umfrage formulierte Tweet brachte ihm eine 40,9-prozentige Zustimmung der knapp 2,8 Millionen Teilnehmer. 59,1 Prozent fanden den Vorschlag weniger gelungen. So auch der ehemalige Schachweltmeister Kasparow.

Dieser lässt es sich nicht nehmen, auf den Vorschlag Musks mit harschen Worten zu reagieren. "Das ist moralischer Schwachsinn, eine Wiederholung der Kreml-Propaganda, ein Verrat an ukrainischem Mut und Opferbereitschaft", schreibt sich Kasparow in Rage. Ein paar Minuten auf Wikipedia zu verbringen reiche nicht, um die schreckliche Realität von Putins blutigem Krieg zu erfassen.

Musk gefällt eine derartige Kritik natürlich nicht. Man habe mehr als 80 Millionen Dollar "verloren", indem man der Ukraine die Satellitenkommunikation Starlink einfach geschenkt habe. Zudem habe sich Musk dem "großen Risiko" ausgesetzt, dadurch Ziel "russischer Cyberattacken" zu werden. Den emotional aufgeladenen Tweet beendet Musk mit dem Satz: "Was hast du bis jetzt, außer Tweets zu schreiben, gemacht?"

Unangebracht

Kasparow Untätigkeit in Bezug auf die russische Politik und die Putin-Regierung vorzuwerfen kann man faktisch gut widerlegen. Der 59-Jährige wechselte nach seiner sportlichen Karriere in die Politik und gründete 2008 zusammen mit Boris Nemzow die außerparlamentarische Oppositionsbewegung Solidarnost. Zuvor war er schon Vorsitzender der Vereinigten Bürgerfront und gründete unter anderem das oppositionelle und regierungskritische Bündnis "Das andere Russland". Schon Anfang der 1990er-Jahre beteiligte er sich an der Gründung der Demokratischen Partei, aus der er jedoch nach internen Auseinandersetzungen bereits nach einem Jahr wieder austrat.

Immer wieder fällt Kasparow durch die Teilnahme an Demonstrationen gegen die Putin-Regierung auf, verfasst Literatur zu diesem Thema und fällt immer wieder durch Putin-kritische Kommentare in der weltweiten Presse auf. Bereits im Jahr 2015 wurde er in einer russischen Zeitung mit den Worten zitiert: "Solange Putin im Kreml ist, gibt es keine Chance für den Frieden, denn der Frieden bedeutet für Putin das Ende seiner Macht." Mehrfach wurde Kasparow wegen seiner Aktivitäten verhaftet.

Vor allem in seinen politischen Anfängen wurde Kasparow mehrmals mit Gewalt von Demonstrationen entfernt.
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Ende ohne Schrecken

Auf die provokante Frage von Musk reagiert Kasparow nachdenklich. Er habe Musk für seine guten Taten in der Ukraine gelobt, aber "sollten gute Taten Immunität für spätere bedeuten oder jede Aussage einzeln beurteilt werden?", fragt der Russe. "Sollen Ukrainer, die Ihnen für Starlink gedankt haben, schweigen, wenn Sie Kreml-Propaganda gegen sie verbreiten?"

Eine Antwort von Musk darauf fehlt bisher. Vielleicht auch deshalb, weil unter anderen die "Washington Post" bereits im April aufdeckte, dass die Starlink-Versorgung der Ukraine zu einem großen Teil von der US-Regierung bezahlt wurde und nicht, wie von Musk behauptet, von ihm selbst. (red, 6.10.2022)