Die Maske ist gesellschaftlich von großer Bedeutung: Werden Infektionen verhindert, breitet sich das Virus langsamer aus.

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Laut manchen Medienberichten steht eine neue Maskenpflicht knapp vor der Tür. Noch am Sonntag, dem Bundespräsidentschafts-Wahlabend, habe Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer die Katze aus dem Sack gelassen, schreibt etwa heute.at. Es sei, wie es "immer angekündigt gewesen ist", sagte sie: "Wenn der Winter kommt, wenn die Zahlen steigen, dann wird irgendwann auch wieder die Maskenpflicht in Innenräumen, den öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Lebensmittelhandel zurückkehren."

Ist es also nur noch eine Frage von Tagen, bis aus dem Gesundheitsministerium neuerlich eine Verordnung kommt, die den Menschen in Österreich das Anlegen von FFP2-Schutzmasken in bevölkerten Innenräumen aufträgt? Im Gesundheitsministerium hält man sich diesbezüglich seit Tagen bedeckt.

Aus dem Gesundheitsministerium nichts Genaues

"Gesundheitsminister Johannes Rauch hat bereits im Frühjahr bei der Abschaffung der Maskenpflicht im Lebensmitteleinzelhandel und in den öffentlichen Verkehrsmitteln betont, dass eine allgemeine Maskenpflicht in diesen Bereichen im Herbst wieder möglich ist. Diese Aussage hat Minister Rauch in den vergangenen Wochen mehrfach unterstrichen", hieß es auf STANDARD-Nachfrage am Freitag.

Auch am Montag war nichts wirklich Konkretes zu erfahren: "Wie angekündigt, werden wir die Entwicklungen in den kommenden Tagen genau analysieren. Die derzeit gültige Corona-Maßnahmen-Verordnung gilt bis zum 23. Oktober. Bis dahin ist jedenfalls mit einer Entscheidung zu rechnen", hieß es auf eine neuerliche Anfrage.

Der 23. Oktober ist schlicht jener Termin, bis zu dem spätestens die seit 23. Juli geltende Maßnahmenverordnung verlängert oder verschärft werden muss. Neue Maskenpflichten können auch bis dahin schon beschlossen werden.

"Drastisch" steigende Infektionszahlen

Das könnte tatsächlich bald geschehen. Denn die Infektionszahlen steigen derzeit "drastisch", betont die Virologin Dorothee von Laer von der Med-Uni Innsbruck – und meint damit: früher und schneller als erwartet. Das liegt zum einen daran, dass es kaum noch bremsende Maßnahmen gibt, und zum anderen an dem früh eingetretenen Temperaturumschwung, erklärt Simulationsforscher Niki Popper. Dadurch verlagerten sich die Sozialkontakte nach drinnen, mehr Menschen infizierten sich früher als erwartet.

Dass die Zahl der Neuinfektionen nur etwa halb so hoch sei wie prognostiziert, liege wohl kaum daran, dass es tatsächlich weniger Fälle gebe als angenommen, sagt Popper. Viel wahrscheinlicher sei die Änderung im Testverhalten der Grund: Weniger Testungen ergeben eine höhere Dunkelziffer. Das Abwassermonitoring bestätige das. Es dürften zwei- bis dreimal so viele Menschen infiziert sein wie gemeldet.

Masken bremsen Herbstwelle

Manche Fachleute fordern deshalb eine Maskenpflicht in Innenräumen und öffentlichen Verkehrsmitteln. Damit sei man "eh schon wieder auf dem letzten Drücker" unterwegs, sagt von Laer. Es sei deutlich leichter, bei niedrigen Zahlen einen Anstieg zu verlangsamen, als ein bereits erfolgtes Wachstum rückläufig zu machen, "aber besser spät als nie".

Auch für den Immunologen Andreas Bergthaler würden "gelinde Mittel" wie eine Maskenpflicht Sinn ergeben. Wir seien an einem ähnlichen Punkt wie letztes Jahr, sagt er: "Es besteht nach wie vor die Gefahr, dass unser Gesundheitssystem mittelfristig an seine Grenzen gelangt. Durch viele Personen, die mit und wegen Corona im Spital landen, aber auch durch die prekäre Personalsituation."

Genau das sei der entscheidende Grund, warum man über die Maske nachdenken sollte, bestätigt Simulationsforscher Popper: "Man wird die Pandemie damit nicht beenden können, aber verlangsamen." Masketragen schütze Einzelpersonen zwar nicht zu hundert Prozent vor Ansteckung, reduziere aber die gesamtgesellschaftliche Dynamik, erklärt er. "Wenn man durch Masken Infektionen verhindern kann, reduziert sich auch die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus – und man verlangsamt zumindest Folgeerkrankungen."

Wie sehr Masken die Ausbreitung verlangsamen würden, kann man nicht mehr sagen – sie tun es aber definitiv, und das hilft in der Krankenhausressourcenplanung. Popper betont auch die mangelhaften Daten zum Infektionsgeschehen hierzulande. "Wir haben ein breites System der Beobachtung", heißt es indes aus dem Gesundheitsministerium. Popper sieht das anders. Für Prognosen sind die Zahlen nicht gut genug, sagt er: "Wir haben Anfang August im Prognosekonsortium deshalb die Prognose zum Infektionsgeschehen beendet und werden jetzt mit der laufenden Immunisierungsmodellierung aufhören."

Mehr Aufklärung statt Pflicht?

Im Gesundheitsministerium sieht man einstweilen noch keinen Handlungsbedarf. Als im Frühjahr die Maskenpflicht abgeschafft wurde, habe man – so heißt es auf Nachfrage des STANDARD – bereits betont: Wenn es im Herbst wieder notwendig werden sollte, wird sie wieder eingeführt. "Aktuell ist das aber noch nicht der Fall", erklärt das Büro von Gesundheitsminister Rauch – und beruft sich auf den Austausch mit der Corona-Kommission und der Gecko.

Immer wieder hört man auch das Argument, die Regierung würde sich nicht trauen, noch einmal Maßnahmen einzuführen. "Aber darum geht es nicht", betont Popper, sondern um die Frage, was sie noch bringen würden. "Die Leute, die grundsätzlich Maske tragen, tragen sie eh überall dort, wo sie es für sinnvoll halten", glaubt der Simulationsforscher. Man hätte früher aufklären müssen, warum die Maske so wichtig für das Einbremsen der Zahlen ist, sagt er: "Vergossene Milch kann man nicht mehr aufsammeln."

Von Laer glaubt hingegen, dass die Maßnahme auch jetzt noch wirksam wäre: "Wenn kaum jemand Maske trägt, fühlt man sich wie ein ängstlicher Sonderling." Durch die Pflicht entstehe ein Gruppenzwang, der es sozial vereinfacht, zur Maske zu greifen, denn: "Wenn es alle machen, mache ich es halt auch."

Eine Maskenpflicht würde vor allem auch zum Schutz der vulnerablen Menschen Sinn machen, sind sich die Fachleute einig. "Wie kann man Risikogruppen die Möglichkeit geben, am normalen Leben teilzunehmen, statt sich einsperren zu müssen? Wir haben hier immer noch keine gute Balance gefunden", sagt Bergthaler. Und auch von Laer betont, wie wichtig Rücksichtnahme im Umgang mit der Corona-Krise ist: "Vielleicht sollten wir als Gesellschaft die vielen Toten nicht mehr tolerieren wollen und unsere Omas und Opas entsprechend schützen."

Ein weiterer Aspekt seien die Langzeitfolgen, sagt Bergthaler. In der Forschung sind dazu noch viele Fragen offen. Was man weiß: "Je mehr Leute sich anstecken, desto mehr Long-Covid-Fälle wird es geben."

Grundsätzlich blickt von Laer aber weiterhin nahezu unbesorgt auf die kalte Jahreszeit: "Wir brauchen keinen Lockdown, die Intensivstationen werden nicht überlaufen. Ja, es werden wieder mehr Menschen sterben, aber mit Masken könnte man das reduzieren." (Jasmin Altrock, Magdalena Pötsch, Irene Brickner 10.10.2022)