Mohammed bin Salman: vor US-Gerichten immun oder nicht?

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Und wieder herrscht dicke Luft zwischen Saudi-Arabien und den USA: Insofern ist es keine so große Überraschung, dass die Saudis diese Woche den russischen Wünschen nach Drosselung der Ölförderung im Rahmen der Opec+ nachkamen. Das Weiße Haus nannte den Schritt ein Desaster. Für die Demokraten sind steigende Energiepreise vor den Midterm-Wahlen sehr unerfreulich.

Laut Washington Post entbrennt nun auch die Diskussion über den Besuch von US-Präsident Joe Biden im Juli in Saudi-Arabien neu. Der galt damals als Canossagang Bidens, um die nach seinem Amtsantritt abgestürzten US-saudischen Beziehungen zu normalisieren. Mit Kronprinz Mohammed bin Salman, der in einem von der Biden-Regierung veröffentlichten CIA-Bericht als Auftraggeber der Ermordung des WP-Kolumnisten Jamal Khashoggi genannt wird, tauschte Biden einen Corona-adäquaten, aber freundlichen Faustgruß.

Zwar betonte die US-Regierung damals, dass Erdölfragen nicht im Mittelpunkt des Besuchs standen. Aber selbstverständlich war die Erhöhung der Ölproduktion, um die Folgen des Ukraine-Krieges beziehungsweise der Sanktionen gegen Russland abzumildern, eines der Ziele Bidens gewesen. Vage hatte Riad das auch zugesagt.

Und nun passiert in der Opec+ genau das Gegenteil davon. Der Fall Khashoggi hat die US-saudischen Beziehungen wieder eingeholt.

Immuner Regierungschef?

Die US-Regierung hat nicht, wie von Riad erhofft, klargestellt, dass Mohammed bin Salman, genannt MbS, ihrer Meinung nach bei US-Gerichten Immunität genießt. Die Klage gegen MbS hatten die türkische Verlobte Khashoggis, Hatice Cengiz, und die Menschenrechtsorganisation Dawn bei einem Gericht in Washington eingebracht.

Zunächst hatten die Anwälte von MbS versucht, dem Kronprinzen bei Gericht den Status als "Staatschef" zu verschaffen. Das ist nominell jedoch noch immer MbS’ Vater, König Salman bin Abdulaziz Al Saud. Am 27. September wurde MbS jedoch mit einem königlichen Dekret zum saudischen Premier ernannt: eine neue Basis für dessen Immunität.

Der Posten des Premiers steht laut Artikel 56 des saudischen Regierungsgesetzes dem König zu. Das Dekret erklärte eine Ausnahme dieser Regel. Da König Salman, falls er anwesend ist, weiter die Regierungssitzungen leiten soll, sehen Menschenrechtsgruppen darin nur einen juristischen Trick.

Am 3. Oktober – einen Tag nachdem sich die Ermordung von Khashoggi im saudischen Generalkonsulat in Istanbul zum vierten Mal jährte – wäre die Stellungnahme des US-Justizministeriums zur Immunitätsfrage fällig gewesen. Bereits am 30. September bat es jedoch um einen 45-tägigen Aufschub. Etwas pikiert gab das Gericht dem statt, angesichts "fehlender überzeugender Gründe" werde jedoch kein weiterer gewährt werden.

Rehabilitation voll im Gang

Laut US-Juristen hätte sich die Regierung auch für unzuständig erklären und die Sache dem Gericht überlassen können. Jedenfalls behielt sich die US-Regierung – zum Ärger der Saudis – die Entscheidung weiter vor. Auch wenn sich das Juristenteam um Cengiz davon nicht sofort stoppen lassen würde, wäre ein offizielles Signal gegen einen Khashoggi-Prozess in den USA doch richtungsweisend, auch für andere juristische Foren.

Auf westlicher politischer Ebene ist die Rehabilitation von MbS, der früher oder später König von Saudi-Arabien sein wird und bei dem jetzt schon alle Fäden im Königreich zusammenlaufen, inzwischen voll im Gange: Biden hatte mit seinem Besuch in Saudi-Arabien den Bann gebrochen. Seither war MbS etwa im Juli in Frankreich bei Präsident Emmanuel Macron und empfing im September den deutschen Kanzler Olaf Scholz.

Dazu hat in hohem Maß der Konflikt mit Russland beigetragen – und die bittere Erkenntnis, dass die früheren engen Verbündeten der USA sich nicht automatisch deren Linie Moskau gegenüber anschließen. Und Präsident Wladimir Putin weiß MbS um den Bart zu streichen: Vor kurzem wurde ihm die Rolle als Vermittler eines Gefangenenaustauschs zwischen Russland und der Ukraine zugestanden. Vor allem was Menschenrechtsfragen anbelangt, hat Saudi-Arabien die gleichen Interessen wie Russland und China und verbittet sich Einmischung.

Versöhnung mit Ankara

Der Khashoggi-Mord fand zwar in Istanbul statt, und die Türkei – die das Konsulat abgehört hatte – war zunächst die treibende Kraft dabei, den Fall gegen den Kronprinzen aufzubauen: Aber die wirtschaftliche Misere hat dazu beigetragen, dass Ankara einen Rückzieher machte und inzwischen ebenfalls beste Beziehungen zu Riad pflegt. MbS war zu Besuch bei Präsident Tayyip Erdoğan und umgekehrt.

Intern wird sich durch den Aufstieg des Kronprinzen zum Premier nicht viel ändern, seine Macht wird nur noch weiter konsolidiert. Seinen klassischen Kronprinzenposten, ein Ministeramt – in seinem Fall das Verteidigungsministerium, das er seit 2015 führte –, gab er an seinen Bruder Khalid bin Salman ab, früher Botschafter in den USA, zuletzt Vizeverteidigungsminister. Der wäre nun also in der Ausgangsposition für die Position des nächsten saudischen Kronprinzen. (Gudrun Harrer, 8.10.2022)