Von einem "Feiertag der Demokratie" sprach Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Sonntagvormittag bei der Stimmabgabe in Wien-Landstraße. Dass es einige Stunden später auch ein Feiertag für den Amtsinhaber selbst wurde, war zu diesem Zeitpunkt zumindest von vielen Meinungsforschenden prognostiziert.

Alexander Van der Bellen wird der nächste Bundespräsident.
Foto: Regine Hendrich

Am Abend war sie dann da: die "Klarheit", die sich Van der Bellen bereits für den ersten Wahlgang gewünscht hatte. 56,2 Prozent standen bei dem Balken mit seinem Namen. Allerdings: Dabei handelt es ich um ein vorläufiges Ergebnis mit Wahlkartenprognose. Denn der endgültige Ausgang der Wahl wird erst im Laufe des Montags feststehen. Am Tag nach der Stimmabgabe im Wahllokal werden die Briefwahlkarten ausgezählt. Das sind nicht wenige.

Fast eine Million Wahlberechtigte hatten im Vorfeld des Urnengangs eine Wahlkarte angefordert – das sind rund 15 Prozent der insgesamt 6.363.489 Wahlberechtigten. Ist der Rücklauf ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2016, stimmten rund 820.000 Personen per Brief ab. Die Hochrechnungen, die die Wahlkartenprognose bereits miteinbeziehen, waren am Sonntagabend bereits eindeutig. Bei einer Schwankungsbreite von 1,1 Prozentpunkten würde der Amtsinhaber auch im Worst Case deutlich über der 50-Prozent-Marke liegen. Ein Rekordergebnis konnte Van der Bellen jedoch nicht einfahren. Einen anderen Rekord wird Van der Bellen jedenfalls einstellen: Tritt er im Jänner seine nächste Amtszeit an, wird er das als ältester Bundespräsident aller Zeiten tun.

Walter Rosenkranz landete auf dem zweiten Platz. In die Stichwahl kam er nicht.
Foto: Heribert Corn

Und auch den Zweitplatzierten ließ Van der Bellen mit passablem Abstand zurück. 38,3 Prozentpunkte trennten den Bundespräsidenten von FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz. Sein Ergebnis sei "mehr, als mir jede Umfrage vorher gegeben hat", sagte Rosenkranz. Ihm sei es darum gegangen, Platz zwei zu erreichen. Und noch einen Erfolg strich Rosenkranz hervor: Er habe das zweitbeste Ergebnis eines freiheitlichen Kandidaten bei einer Präsidentschaftswahl erreicht. Doch Rosenkranz’ 17,9Prozentkonnten auch mit dem Ergebnis seines Vorgängers Norbert Hofer nicht mithalten. Zur Erinnerung: Im Jahr 2016 landete Hofer im ersten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl mit 35,1 Prozent sogar auf Platz eins und ging mit Van der Bellen in die Stichwahl – die erst aufgehoben, dann wiederholt wurde –, wo er auf 46,2 Prozent kam.

Erleichterung in Grün

Entsprechend erleichtert waren die Unterstützerinnen und Unterstützer Van der Bellens, die sich schon am Nachmittag im "Stage 3" in Sankt Marx zur Wahlparty eingefunden hatten. Am frühen Abend war es für Justizministerin Alma Zadić und Verkehrs- und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (beide Grüne) so weit. Es sei ein "klares Signal für die verantwortungsvolle Politik", die "der Sascha" in den vergangenen Jahren gemacht habe, dass die Wahl nun so klar ausgegangen sei, sagte Zadić. Gewessler erzählte, sie gehe zwar grundsätzlich sehr gerne wahlkämpfen, sei aber "verdammt froh", dass es nun zu keiner Stichwahl mehr komme. Der klare Wahlsieg sei ein starkes Zeichen für eine Politik mit Augenmaß, die sich hinter zentrale politische Leitlinien wie die Menschenrechte stelle.

Die Erleichterung über die nicht mehr nötige Stichwahl war überhaupt das Leitmotiv des Abends. Eine Wahlauseinandersetzung mit FPÖ-Kandidat Rosenkranz hätte diesen größer gemacht, als er eigentlich sei, ist von grünen Funktionärinnen und Funktionären zu hören. Und auch an direkten TV-Duellen mit dem blauen Volksanwalt wäre Van der Bellen dann wohl nicht mehr vorbeigekommen, heißt es gegenüber dem STANDARD. Der Amtsinhaber hatte TV-Konfrontationen mit seinen Herausforderern in den vergangenen Wochen ja vermieden.

Präsident ans Volk

Der Bundespräsident selbst wollte sich am Wahlsonntag erst "direkt" an die Österreicherinnen und Österreicher wenden. Das tat der Kandidat Van der Bellen, wie so oft in seinem Wahlkampf, in einem Video in den sozialen Medien. Er werde "nach bestem Wissen und Gewissen" für alle arbeiten. "Ich lade alle konstruktiven Kräfte ein: Packen wir’s an", sagte Van der Bellen. "Die Aufgaben, die vor uns liegen, sind groß, und es braucht einen Schulterschluss, um sie zu lösen."

Im Lokal "Vino Wien" zeichnete sich ein anderes Bild ab: Katerstimmung. Bei der FPÖ-Wahlfeier zeigte sich Generalsekretär Michael Schnedlitz trotzdem "dankbar" über die Stimmen, die der FPÖ-Kandidat erhielt: "Während ÖVP und Grüne gemeinsam mit SPÖ und Neos mit ihrem Kandidaten nur über 50 Prozent gekommen sind", hätten die Blauen beinahe 20 Prozent erreicht. "Unser Auftrag ist klar. Wir werden weiterarbeiten, denn das Ergebnis zeigt: Österreich ist bereit für einen Wechsel", sagte Schnedlitz.

Bei der FPÖ hätte man sich natürlich erhofft, dass Rosenkranz in die Stichwahl kommt. Sein Ergebnis erachten zwar alle für durchwegs solide. Hinter vorgehaltener Hand räumt aber der eine oder andere ein, dass Funktionäre und Co. noch mehr für Rosenkranz laufen hätten können, Rosenkranz selbst aber alles gegeben habe.

Dominik Wlazny und Alexander Van der Bellen in der Medienzentrale des Innenministeriums.

Van der Bellen, ehemaliger Bundessprecher der Grünen, trat wie schon 2016 als unabhängiger Kandidat an. Wie seine ehemalige Partei verzichteten auch ÖVP, SPÖ und Neos auf eigene Bewerber und unterstützten zum Teil auch den Amtsinhaber. Der grüneVizekanzler Werner Kogler war froh: Es gehe um "Verantwortung, verantwortungsvolle Politik und Vernunft und Zusammenhalt".

Im Kopf-an-Kopf-Rennen um den dritten Platz trennte den ehemaligen Krone -Kolumnisten Tassilo Wallentin und den Gründer der Bierpartei Dominik Wlazny nicht einmal ein Prozentpunkt. Während Wlazny bei der ersten Hochrechnung noch auf Platz vier lag, zog er später an Wallentin knapp vorbei. Um 19 Uhr lag Wlazny mit 8,4 Prozent haarscharf vor Wallentin mit 8,3 Prozent.

Unglaublich in Wien

"Unglaublich, mega, ganz großartig", nannte Wlazny das Ergebnis und ein "wunderbares Zeichen für die Demokratie". Der Grund für Wlaznys Erfolg: Wien. Wlazny, der bei der Wien-Wahl 2020 mit der Bierpartei unter seinem Künstlernamen Marco Pogo in elf Bezirksparlamente einzog, erreicht laut Sora-Hochrechnung in der Bundeshauptstadt mehr als zehn Prozent und landet dort sogar auf Platz zwei – hinter Alexander Van der Bellen mit 64,3 Prozent. Es sei eine Bestätigung, dass sich die harte Arbeit der vergangenen Wochen gelohnt habe.

Im gesteckt vollen Schutzhaus Zukunft auf der Schmelz in einer Kleingartensiedlung im 15. Bezirk ließ sich Wlazny unter "Pogo, Pogo, Pogo"- und "Bierpartei, Bierpartei, Bierpartei"-Rufen von seinen Fans feiern. Das Publikum: jung. "Ich bin wirklich überwältigt. Wir haben den dritten Platz", ruft er auf der Bühne ins Mikrofon. Wie es jetzt weiter gehe, das werde man sehen, sagt Wlazny zum Schluss: "Heute werden wir uns in den Armen liegen."

Dominik Wlazny konnte feiern. Er könnte auf Platz drei landen.
Foto: Christian Fischer

Punkten konnte Wlazny – wenig überraschend – vor allem bei den Jungen: Bei den 16- bis 20-Jährigen erhielt Wlazny laut einer Wahltagsbefragung 20 Prozent. In der Generation 60 plus stimmten nur zwei Prozent für den jüngsten aller Kandidaten. Wlazny hatte erst im Dezember das Mindestalter für eine Kandidatur erreicht.

Gerald Grosz war mit 5,6 Prozent auf Platz fünf abgeschlagen. Das Schlusslicht bildeten der Kandidat der impfkritischen MFG, Michael Brunner, und Gea-Geschäftsführer Heinrich Staudinger. Letzterer erschien – wie oft im Wahlkampf – in roter Jacke und T-Shirt mit der Aufschrift "Gast auf Erden" im Medienzentrum des Innenministeriums. Dort zeigte er sich vor allem von den Medien enttäuscht. "Ich hätte geglaubt, dass es in den Medien intelligente Menschen gibt, die wissen, dass wir mit dem Mainstream an die Wand fahren", sagte er zum STANDARD. "Ich habe gemerkt, dass auch die Medien Teil dieses Mainstreams sind." Staudinger musste sich mit 1,5 Prozent zufriedengeben, Brunner mit 2,1 Prozent. (Sebastian Fellner, Oona Kroisleitner, Stefanie Rachbauer, Martin Tschiderer, Sandra Schieder, 9.10.2022)