Nach fünf Tagen in der Frauen-WG ist in "Rote Sonne" Schluss mit lustig.

Foto: eSel.at

Rudolf Thomes Rote Sonne wurde 1970 nicht zuletzt auch als Genrefilm und -satire gedacht und gelesen. Aber schon auch schockierend: Vier Frauen leben in einer WG und bringen Männer um. Hauptdarstellerin Uschi Obermaier, 1. Kommunardin und (Sex-)Symbol der 68er, rief daneben noch andere Bedeutungsebenen ab: (vermeintliche) sexuelle Befreiung, Revolte – aber Frauenrechte?! Die Bearbeitung Christine Gaiggs im Volx/Margareten stellt genau darauf ab: Was kann diese zweifellos einer Männerfantasie entsprungene Vorlage uns heute sagen über Geschlechterverhältnisse, Gewalt und Befreiung?

Das Setting in der Nebenbühne des Volkstheaters ist vielversprechend: Philipp Harnoncourt hat einen immersiven Raum geschaffen, ungezwungen sind in der großen Souterrain-Fläche Stühle und Sofas vom Trödler verteilt, dazwischen ein paar Betten, ein Vintage-Kühlschrank, Spirituosenflaschen. Hierhin folgt Thomas (Frank Willens), ein Taugenichts, wie er im Buche steht, Peggy (Anna Rieser) – nicht ahnend, dass sie und ihre Mitbewohnerinnen (Evi Kehrstephan, Magdalena Simmel, Runa Schymanski) Männer maximal fünf Tage lang leben lassen. Dann werden sie mit schicken Antik-Revolvern um die Ecke gebracht.

Männer stören auf dem Planeten

Gaigg verschneidet das Ganze mit Ausschnitten aus Valerie Solanas "S.C.U.M.-Manifest" ("Der Mann ist eine biologische Katastrophe ..."), dem zufolge der Erdball von Männern bereinigt gehört, und lässt die Mikroport-bewehrten Spielerinnen immer wieder aus der Künstlichkeit der Rollen fallen und diskutieren: über den männlichen Blick, die Binarität der Vorlage.

Freilich hätte 1970 niemand die Zweigeschlechtlichkeit hinterfragt. Dazwischen versuchen die Frauen, das überall im Raum verteilte Publikum zu aktivieren, was gut gelingt, wenn Zuschauer verdächtige Müllsäcke entsorgen müssen, und weniger gut, wenn getanzt werden soll. Musik gibt es nämlich auch. Von den drei im Raum verteilten Plattentellern (Dominik Förtsch, Noemi Haffner und Nava Hemyari) kommen bedrohliche Musikfetzen (Peter Plessas nach Bernhard Gander).

Immersive Spielanordnung

Das hat, dank der Präsenz der Spielerinnen, der immersiven Spielanordnung (die auch Foyer und Bar einbezieht) und der detailverliebten Ausstattung (Kostüme: Dorothea Nicolai), durchaus seinen Reiz und intensive Momente. Trotz der kompakten Länge von nicht einmal 90 Minuten aber verpufft die Energie der metafiktionalen Einschübe rasch.

Am meisten Erkenntnis bringen zufällige Momente, etwa wenn Thomas halbnackt und sorglos inmitten der vier Frauen im Bett sein Frühstück mampft. Da zeigt sich die "männliche Herrschaft" (Bourdieu): Die Geschichte wäre eine andere, säße eine halbnackte Frau inmitten vier fremder Männer. Aber der Abend geht nicht von der genuinen Situation von Frauen aus und erinnert darin an eine alte feministische Debatte: Sollte man nicht, statt auf männliche Vorlagen zu reagieren, von sich ausgehen, agieren? Es muss ja nicht gleich Mord sein. (Andrea Heinz, 10.10.2022)