Mit Reisigbesen gegen die Nässe in Suzuka: Das Milliardenprodukt Formel 1 wirkt zuweilen nicht ganz so professionell.

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Am Ziel: Max Verstappen und Motorsportchef Helmut Marko.

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Nicht dass schon zum letzten Mal für heuer mit der Zielflagge gewachelt worden wäre, schließlich stehen noch vier Rennen aus. Aber die am Sonntag in Suzuka entschiedene Fahrerweltmeisterschaft 2022 wird einen seltsamen Nachgeschmack hinterlassen. Die Art der zweiten Krönung von Max Verstappen eine Farce zu nennen, wie es die Neue Zürcher Zeitung tat, ist vielleicht etwas hart. Auch "lächerliche Oper" (The Guardian) trifft es nicht ganz. Es hatte aber gewiss etwas von einer komischen Oper, dass Champion Verstappen erst während seiner ersten Interviews nach dem zwölften Saisonsieg gewahr wurde, dass sein erster Erfolg in Japan auch zum vorzeitigen Titelgewinn gereicht hatte.

Das nur wohl mithilfe einer Schar von Anwälten unfehlbar auslegbare Regelwerk des Automobilweltverbandes Fia war im Vorjahr nach dem Regenrennen von Spa, wo es für zwei gefahrene Runden halbe Punkte gegeben hatte, um ein paar Worte verändert worden, die ein gutes Jahr später den Unterschied zwischen Titelentscheidung oder -vertagung ausmachten. Gestaffelt ist nun zu lesen, wie viele Punkte es geben soll, wenn 25, 50 oder 75 Prozent der geplanten Renndistanz absolviert werden. In Suzuka wurde nach langer Regenunterbrechung nur gut die Hälfte der anvisierten Runden erreicht. Also war davon auszugehen, dass Verstappen und sein Red-Bull-Team frühestens nach dem Grand Prix der USA am 23. Oktober in Austin, Texas, die Titelverteidigung sicher sein könnte.

Quasi im Kleingedruckten

In einem Nebensatz der Regel allerdings ist die Rede von "abgebrochenen Rennen", und in Suzuka wurde ja weitergefahren – bis zum Ablauf des Zeitlimits. Dann sahen die Fahrer die Zielflagge. Im Sinne der Regeländerung ist das nicht, da ist man sich nun weitgehend einig. "Ich bin sicher, dass das noch einmal geändert wird", sagte Red Bulls Teamchef Christian Horner.

Ohnehin stellt sich die Frage, ob die Fia überhaupt in der Lage ist, dem Milliardenbusiness Formel 1 weiter den richtigen Rahmen zu geben. "Es gibt eine unendliche Liste von Kontroversen und Fehlern", sagte Ferraris Teamchef Mattia Binotto. Der Italiener, dessen Team durch Schlampereien und Fehleinschätzungen viel zu Verstappens flottem Durchmarsch im Duell mit Charles Leclerc beigetragen hatte, wollte nicht behaupten, dass die Fia vor allem zum Wohle von Red Bull handle, "aber es gibt Ungereimtheiten und Fehler bei den Entscheidungen. Unser Sport muss besser werden."

Dabei bezog sich Binotto gar nicht auf den eigentlichen Skandal des Rennens in Japan, auf das Auftauchen eines Bergungsfahrzeuges ganz nahe der Strecke, als die Boliden praktisch ohne Sicht wegen der Regengischt hinter dem Safety-Car herjagten. Die Piloten erwarten deutlich mehr Initiative der Fia im Kampf gegen die Risiken.

Bei vielen Teamchefs mehr Unmut erzeugt die Inkonsequenz bei Regelentscheidungen. Während in Singapur auch Stunden nach dem Rennen der Sieger noch nicht feststand und der Mexikaner Sergio Perez um seinen Erfolg zittern musste, weil er zu viel Platz zum Safety-Car gelassen hatte, kam eine Entscheidung gegen Leclerc in Japan blitzschnell. Nur weil der Monegasse eine Fünf-Sekunden-Strafe für das verbotene Verlassen der Strecke bekam und so vom zweiten auf den dritten Platz zurückfiel, wurde Verstappen schon Weltmeister.

Und bei Mercedes ist längst nicht vergessen, dass Verstappen im Vorjahr nur dank diskussionswürdiger Regelauslegung der finale Sieg gelang, die WM-Entscheidung also letztlich im Büro der Rennleitung gefallen war. (Sigi Lützow, 10.10.2022)