Andrina Mračnikars Familie, etwa zur Zeit des Ortstafelsturms 1972. Die mittlerweile verstorbene Großmutter ist in allen Dokumentationen Mračnikars prominent vertreten.

Andrina Mračnikar

Alexander Van der Bellen war der erste Bundespräsident Österreichs, der sich 2020, am 100. Jahrestag der Kärntner Volksabstimmung, offiziell bei den Kärntner Slowenen und Sloweninnen entschuldigte – auf Slowenisch: "Kot zvezni predsednik bi se Vam želel iskreno opravièiti za krivice in zamude pri uresnièitvi vaših ustavnih pravic." Und Deutsch: "Für das erlittene Unrecht und für die Versäumnisse bei der Umsetzung von verfassungsmäßig garantierten Rechten möchte ich mich hier und heute als Bundespräsident bei Ihnen, liebe Angehörige der slowenischen Volksgruppe, entschuldigen."

Van der Bellens Entschuldigung war überfällig und berührte, so eine der Personen in Andrina Mračnikars Dokumentation Verschwinden/Izginjanje, doch die schönen Worte ändern nichts an der Tatsache, dass schon viel verlorengegangen ist. Mit den Älteren stirbt auch das Slowenisch in Südkärnten aus – es verschwindet: "izgine". Dem nähert sich die Regisseurin in einem intimen, essayistischen Zugang. Aus dem Off bittet sie mit sanfter Stimme, meist auf Slowenisch, die eigene Familie sowie junge Aktivisten zum Gespräch und spinnt so eine sehr persönliche Geschichtserzählung über Kärntner Slowenen heute.

Emotion statt Agitation

Verschwinden/Izginjanje verortet historisch, insbesondere die Kärntner Volksabstimmung 1920 und der Ortstafelsturm 1972 sind Ankerpunkte der Erzählung, sie spart aber auch bewusst aus. Der Name Haider ist nicht präsent, die Auseinandersetzungen im Nachgang des Ortstafelsturms werden nur angeschnitten. Archivbilder der pogromartigen Zustände um 1972 stehen am Beginn von Verschwinden/Izginjanje, doch Mračnikar lässt die aufgewühlten 1970er-Jahre hinter sich – im Mittelpunkt stehen diese dagegen in der kontrovers diskutierten, 2006 vom ORF nicht ausgestrahlten Dokumentation Artikel 7 – unser Recht!, die als zu wenig objektiv wahrgenommen wurde.

Mračnikar geht es jedoch weniger um Agitation als um Emotion. Denn der Sturm und die anschließende um Prozente feilschende Kleinlichkeit vonseiten der deutschsprachigen Kärntner wurde als Kränkung wahrgenommen, die sich tief ins Bewusstsein der slowenischsprachigen Bevölkerung eingeschriebenen hat.

Filmdelights

1920 stimmten die Mračnikars wie viele andere Slowenen auch für den Verbleib Kärntens in Österreich, und das, obwohl sie stolze Slowenen waren. Versprochen wurde ihnen, wie auch im Staatsvertrag 1955 festgeschrieben, die Gleichbehandlung, inklusive Zweisprachigkeit. Wie tief der Graben zwischen Deutsch- und Slowenischsprachigen jedoch war, zeigte sich 1938, zum Zeitpunkt des Anschlusses an Nazi-Deutschland. "Kärnten spricht Deutsch" hieß es alle zehn Meter, später wurden Hunderte slowenisch-kärntnerische Familien in KZs und Arbeitslager abtransportiert – das thematisierte die Regisseurin bereits in ihren vorherigen Dokumentationen Andri 1924-1944 (2002) und "Der Kärntner spricht Deutsch" (2006).

Mračnikars Urgroßvater war im KZ Dachau, ihr Urgroßonkel starb 20-jährig als Partisan im Widerstand. Doch nach dem Krieg hatte sich die Nazi-Ideologie in den Köpfen festgesetzt. Das Symbol der Feindseligkeit ist für die Familie Mračnikar ein totes Pferd. Es wurde von Unbekannten während des Ortstafelsturms 1972 im Stall erhängt. Für die Pferdemörder gab es keine Konsequenzen. (Valerie Dirk, 11.10.2022)