Handtuch, Seife und Shampoo muss man selbst mitbringen, Haartrockner und Wasser sind vorhanden. Wenn viel Betrieb ist, macht das Tröpferlbad seinem Namen heute noch ein wenig Ehre.

Foto: Regine Hendrich

Die Seniorin mit kurzem weißem Haar, beiger Steppjacke und bunt gemustertem Rucksack an der Kassa erinnert sich noch genau. "Früher waren hier rundherum überall Tröpferlbäder. Da bin ich immer mit meiner Mutter hingegangen", sagt die 88-jährige Ottakringerin und deutet durch die gläserne Eingangstür nach draußen. "Brausebad" steht in blauen Lettern darauf geschrieben. Die weißhaarige Frau ist wieder zu den Gewohnheiten aus ihrer Kindheit zurückgekehrt.

Das Volksbad in der Friedrich-Kaiser-Gasse 11 im 16. Bezirk ist ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten. Zu finden ist es im Parterre eines Wohnhauses mit schmutzig-beiger Fassade. Auf einen kleinen Vorraum samt Kassenschalter folgen zwei große geflieste Räume mit Duschkabinen aus glänzenden Metallplatten – sechs für Frauen und neun für Männer. Während das Brausen im Schwimmbad bloß Vorbereitung ist, bildet es im Volksbad das Hauptprogramm.

Wer Mindestsicherung bezieht, körperlich beeinträchtigt oder ein Kind ist, darf gratis hinein. Alle anderen zahlen 2,70 Euro. Im Bad erhält man eine Stunde lang Zugang zu einem Gut, das manche Haushalte angesichts von Energiekrise und Teuerung bereits rationieren: heißem Wasser. Doch erst müssen die Gäste an Markus Zehetmayer vorbei. Der Badewart teilt die Kabinen zu – nach einem ausgeklügelten System. "Sie nehmen bitte die Nummer zehn", sagt er zu der Seniorin an der Kassa.

Für 2,70 Euro gibt es im Ottakringer Volksbad eine Stunde lang heißes Wasser.
Foto: Regine Hendrich

Sofern es die Auslastung erlaubt, lässt Zehetmayer zwischen zwei Gästen eine Kabine frei. "Damit ned der ane im Dreck vom andren schwimmt." Und er hat noch weitere Tricks. Jene, die sich mit fester Seife waschen, schickt Zehetmayer in Kabinen mit möglichst viel Fliesen- und wenig Metallanteil. Denn Seife in Stückform hinterlasse hartnäckige Spuren auf dem Metall, erklärt Zehetmayer. Frauen mit langen Haaren wiederum schickt er in Kabinen, in denen sich ein Ausguss in der Abflussrinne befindet. Auch das hält den Aufwand beim Putzen geringer – denn die Haare verschwinden sogleich im Kanal.

Haare sind wohl überhaupt Zehetmayers größter Feind. Sobald sich eine Kundin bei einem der beiden Föhne an der Wand fertig getrocknet hat, zückt er den Mopp. "Schaun S', wü vü da drauf san. Nur von dera an", sagt er mit Blick auf die vielen Haare, die in den weichen Fasern des Mopp-Bezugs hängen geblieben sind.

Neun Bäder mit Abteilungen für Körperpflege

Rund 100 Besuche verzeichnet das Volksbad Friedrich-Kaiser-Gasse jede Woche. Besonders viel ist in der Regel am Mittwoch los. Denn da sperrt das letzte reine Brausebad Wiens nach drei Tagen Pause zu Mittag wieder auf. Über Brausemöglichkeiten verfügen – zusätzlich zu anderen Angeboten – neun weitere städtische Bäder. Das Penzinger Bad sowie das Apostel-, das Einsiedler- und das Hermannbad haben Saunen und Duschkabinen.

In fünf Schwimmbädern – darunter das Amalienbad – kann man auch einfach nur duschen gehen. Das Jörgerbad hat sogar noch eine Wannenbadabteilung.
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Die Schwimmbäder Brigittenauer Bad, Floridsdorfer Bad, Theresienbad und Amalienbad verfügen über Duschabteilungen, das Jörgerbad hat sogar noch eine Wannenbadabteilung. Mehr als 20.000 Dusch-Besuche wurden im Prä-Corona-Jahr 2019 in diesen Bädern verzeichnet. Zum Vergleich: 30 Jahre zuvor waren es, bei einer größeren Zahl an Brausebädern, rund 527.000 Besuche.

Eingerichtet wurden Volksbäder nach einem Beschluss des Wiener Gemeinderats 1886. Hintergrund war das starke Bevölkerungswachstum im Zuge der Industrialisierung: In den hastig geschaffenen Arbeiterquartieren fehlte es – Stichwort Bassenawohnung – an Bademöglichkeiten. Das förderte den Ausbruch von Krankheiten wie Cholera. Volksbäder sollten dem entgegenwirken. Das erste wurde 1887 in der Mondscheingasse im siebenten Bezirk eröffnet.

Die Geschichte der Wiener Volksbäder wird derzeit in der Ausstellung "Im Tröpferlbad. Geschichten von Gesundheit und Hygiene" in der Klagbaumgasse 4 auf der Wieden gezeigt – passenderweise in einem ehemaligen Brausebad. Der Kosename Tröpferlbad kommt übrigens daher, dass der Wasserdruck bei viel Betrieb dort so gering war, dass anstelle eines festen Wasserstrahls lediglich ein dünnes Rinnsal aus den Duschköpfen kam.

15.000 Wohnungen ohne Bad und WC

Fehlende Bademöglichkeiten in der eigenen Wohnung seien auch heute noch ein Motiv, um ein öffentliches Brausebad zu besuchen, erzählt Badewart Zehetmayer. In Wien wurden laut Stadt im Jahr 2020 rund 15.000 Wohnungen gezählt, die weder ein WC noch eine Wasserentnahmestelle hatten. Das entspricht etwa zwei Prozent aller Hauptmietwohnungen. Zehetmayer kennt sein Publikum gut, der Stammgastanteil beträgt 80 Prozent. "Es kommen auch ältere Herrschaften, die nur eine Badewanne haben und nicht mehr einsteigen können. Oder Bauarbeiter und Obdachlose."

Markus Zehetmayer, Badewart, Haarbekämpfer und gute Seele des Tröpferlbads.
Foto: Regine Hendrich

Dann gibt es noch jene Gruppe, zu der die Seniorin in Kabine zehn zählt: Leute, deren Bad gerade repariert wird und deshalb nicht benutzt werden kann. Natürlich könnte sie auch bei ihren Kindern duschen, sagt die 88-Jährige. "Aber glauben Sie, ich gehe zur Jugend und sage: 'Bitte, bitte?'" Sie tippt sich mit dem Zeigefinger an die Stirn.

So auskunftsfreudig wie die Dame sind sonst keine anderen Besucher. Die einen, weil sie aufgrund ihrer mangelnden Deutschkenntnisse nichts erzählen können. Die anderen, weil sie es nicht wollen. Oder beides.

Aufwärmen im Winter

Inzwischen sind so viele Gäste im Ottakringer Volksbad, dass es dort dampfig geworden ist. Auf Zehetmayers Stirn bilden sich beim Moppen Schweißperlen – obwohl er lediglich Shorts und ein kurzärmeliges Poloshirt trägt. Bei Hochbetrieb macht das Tröpferlbad seinem Namen noch heute ein wenig Ehre: Zwar geht der Wasserdruck nicht mehr ganz so stark zurück, auf Warmwasser wartet man aber mitunter ein paar Minuten.

Nach jedem Gast wird die Kabine desinfiziert.
Foto: Regine Hendrich

Energiekrise und Teuerung haben ihm bis jetzt keine neue Kundschaft gebracht, erzählt Zehetmayer. Zumindest noch nicht. "Es kommen deshalb nicht mehr Leute." Das könne sich aber noch ändern, schätzt er. "Im Winter, wenn dann die Fußbodenheizung aufdraht is, wird's richtig warm. Vielleicht kommen die Leut' zum Aufwärmen her, wenn's nimmer so viel heizen können. Des könnt schon sein."

Die maximale Duschdauer nutze kaum jemand aus. "Nach 30 Minuten sind die meisten fertig." Und wenn doch einmal jemand überzieht, dann drückt Zehetmayer auch einmal ein Auge zu. "60 Minuten sind es normal, das waren 70", ruft er einer jungen Frau nach. Sie entschuldigt sich mehrmals, was der Badewart mit "Passt schon" quittiert.

Auswärts duschen kann sich finanziell durchaus auszahlen. Laut Berechnungen der Wiener Umweltberatung kostet ein zehnminütiger Duschgang mit Sparduschkopf und Warmwassergewinnung durch Gas im Schnitt 95 Cent, bei Warmwasser durch Strom 1,22 Euro. Mit herkömmlichem Brausekopf und 15 Minuten Duschdauer kommt man schon auf den Tröpferlbad-Eintritt: Da sind es 2,68 bzw. 3,43 Euro.

Originalstandort, aber neue Räumlichkeiten: Bis 1985 befand sich in der Friedrich-Kaiser-Gasse das Thaliabad. Dort wurde später das heutige Volksbad errichtet, es befindet sich in einem Wohnhaus.
Foto: Regine Hendrich

Die Preise könnten sich auch an anderen Orten mit Flatrate-Warmwasser auswirken. In Fitnessstudios sind die Erwartungen für den Winter geteilt. Im Herbst ändere sich der Verbrauch unabhängig von der Energiekrise, weil dann regelmäßig die Besucherzahlen steigen, teilt etwa McFit auf Anfrage mit. Deshalb lasse sich kein direkter Zusammenhang mit den Energiepreisen bestimmen. Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass sich das Verhalten der Gäste in Richtung längeres Duschen oder mehr Duschen entwickle. Bei John Harris rechnet man hingegen mit keinen Veränderungen.

Der Badewart als Sozialarbeiter

Im Volksbad Friedrich-Kaiser-Gasse gibt es neben dem Warmwasser noch ein anderes Motiv für den Besuch. Für gewisse Gäste sei das Bad eine Art Treffpunkt, erzählt Zehetmayer. Manche kämen fast immer zur gleichen Zeit, um sich miteinander zu unterhalten – oder mit dem Personal. Was für dieses durchaus fordernd sein kann, wie der Badewart durchblicken lässt: Im Jörgerbad, wo er früher gewesen sei, sei es stressiger gewesen. "Do ist es ruhiger, aber du musst halt mehr quatschen."

Am liebsten würden die Besucherinnen und Besucher ohnehin mit seiner Kollegin, Frau Kathi, plaudern. "Die ist schon Jahre da, die kennt alle." Und manchmal komme es auch vor, dass ein Gast anrufe – bloß um ein bisschen Ansprache zu haben. Im Ottakringer Brausebad wärmt eben nicht nur das heiße Wasser. (Stefanie Rachbauer, 18.10.2022)