Mit dem Begriff Neugier wird doch recht viel anekdotisches Wissen verbunden: Da gibt es Kinder, die Löcher in den Bauch fragen und uns an die Grenzen des eigenen Wissensstands und der Geduld bringen. Oft kommt auch ein Hund in den Erzählungen vor, der in der Küche in offenen Schränken nach Dingen sucht, die man zerbeißen könnte, oder der Nachbar, der tagein, tagaus am Fensterbrett sitzt und schaut, ob er Neuigkeiten aus dem Privatleben anderer erfährt. Gierig sein, egal wonach, also auch nach Neuem, das ist schon im Wortsinn negativ besetzt.

Der Nobelpreis für Anton Zeilinger löste eine Debatte darüber aus, wie frei und kreativ Forschende heute sein dürfen.
Foto: der Standard/Marie Jecel

Wenn man von Forschern oder Forscherinnen spricht, dann dominieren klischeereiche Vorstellungen: Sie sitzen vor dem Mikroskop, über Papier und Büchern, an Maschinen oder in der Wildnis, um Tiere zu beobachten. Ein Begriff wie "curiosity-driven" (von Neugier getrieben) hat in diesen Bildern allerdings meist wenig Platz. Und dennoch ist es so: Ohne Neugier keine Grundlagenforschung, die bahnbrechende Erkenntnisse zutage bringt, ohne Neugier fehlt der Antrieb, das Unerforschte zu suchen und Fragen zu stellen, die noch niemand stellte, geschweige denn beantwortet hat.

Wie hat es der Quantenphysiker Anton Zeilinger formuliert, kurz nachdem ihm der Nobelpreis für Physik zuerkannt wurde? "Ich mache das nur aus Neugier." So moralisch fragwürdig Neugier also sein kann, wenn es um Klatsch und Tratsch geht, so essenziell ist sie in den Wissenschaften. Sie treibt die Forschung weiter, sie ist die Garantie dafür, dass wir nie mit dem zufrieden sind, was wir wissen oder zu wissen glauben.

Das Risiko mag groß sein, mit einem derartigen Ansatz zu scheitern. Aber viele Heldengeschichten von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, die auf diese Weise Erfolg hatten, machen den hohen Stellenwert der Neugier in der Grundlagenforschung dafür verantwortlich. Man ist überzeugt, dass sie heutzutage nur Positives bewirkt und keine negativen Folgen hat: 77 Jahre nach dem Abwurf zweier Atombomben, die von einigen der bedeutendsten Physiker entwickelt wurden, ist sich die Wissenschaft ihrer Verantwortung gegenüber der Menschheit bewusst. Das Öffnen der Büchse der Pandora wird durch ethische Selbstkontrolle weitgehend kontrolliert.

Idealisierte Vorstellung

In der Rezeption wird Neugier meist verklärt. Sie bringe Fortschritt, Gesundheit, Wohlstand und durch all das eine glückliche Zukunft, heißt es in den Lobliedern. Und man wünscht sich viel mehr davon, als es jetzt gibt. Ilija Trojanow etwa schreibt in Gedankenspiele über die Neugier (Droschl) Folgendes: "Wenn ich Interesse habe an dem, was existiert, habe ich Interesse an dem, was sein könnte." An anderer Stelle heißt es schließlich: "Meine Neugier lässt sich nicht kontrollieren, regulieren. Ein Leben lang war mir daran gelegen, die Bewegungsfreiheit der eigenen Neugier zu garantieren."

Die begehrten Nobelpreis-Medaillen wurden vergangene Woche verliehen.
Foto: APA/AFP/JONATHAN NACKSTRAND

Genug Geld und Zeit zu haben, um ausschließlich "von der Neugier getrieben" zu arbeiten, mag nach einer idealen Vorstellung für Forscherinnen und Forscher klingen. Allerdings ist diese Idee weit weg von der Realität – aus strukturellen, aus wirtschaftlichen und nicht zuletzt auch aus gesellschaftlichen Gründen.

Grundlagenforscher an Universitäten beklagen an dieser Stelle gern die Verschulung des Studiums durch den Bologna-Prozess. Die Harmonisierung des Studiums in Form eines zweistufigen Systems (Bachelor, Master), die Etablierung eines Punktesystems, um Leistung transparent zu machen (European Credit Transfer and Accumulation System, ECTS), würde aus den Studierenden binnen kurzem pragmatisch denkende, Risiko vermeidende Verwalter ihres vollen Studienplans machen, lautet die Kritik.

"Bologna macht aus Studierenden ECTS-Punkte-Junkies, keine Nobelpreisträger", sagt etwa der Evolutionsbiologe Wolfgang Miller von der Med-Uni Wien. "Das ist ein System, das Bürokratie fördert, nicht kluge Köpfe, die vielleicht einmal einen bahnbrechenden Durchbruch schaffen."

Punkte statt Intellekt

Aufwendige Vorlesungen, in denen mehr Zeit und intellektuelle Arbeit verlangt werden, als es am Ende ECTS-Punkte dafür gibt, sind unbeliebt, berichtet auch Ulrike Felt, Wissenschaftsforscherin an der Universität Wien. Anton Zeilinger hat zur Quantenphysik gefunden, indem er sie sich abseits des Studiums angeeignet hat. Doch ist so eine Herangehensweise gegenwärtig überhaupt noch möglich?

Vorlesungen zu besuchen, die den Horizont erweitern, ohne dass sich das merklich im Punktekontingent niederschlägt, "geht sich heute nicht mehr aus", gibt Felt eine unmissverständliche Antwort. Studierende müssen Ergebnisse liefern, die Neugier kann aber in den Wissenschaften auch ins Leere führen. "Dieses Risiko muss man sich selbst als gut etablierte Forschende leisten können, das ist aber – leider – nicht der Alltag."

Die gezähmte Neugier

Felt spricht von einer "Zähmung der Neugier", nicht nur durch das ECTS-Punkte-System, sondern auch durch fast ausschließlich projektbezogene Förderung der wissenschaftlichen Arbeit. Ein Abweichen von vorgegebenen Wegen, weil sich womöglich zufällig ein neuer Aspekt ergeben hat, ist mittlerweile kaum vorstellbar.

Nobel Prize

Dieses Zähmen würde schon in der Schule beginnen, sagt sie. Schon in dieser Bildungsphase sei es wichtig, Interessen bestimmten Zielen – in diesem Fall sind es Noten – zuzuordnen. Man lernt, um Zeugnisse zu bekommen und die nächste Schulstufe zu erreichen. Intrinsische Motivation ist zu einer rühmlichen Ausnahme geworden.

Dabei wäre es so wichtig, Neugier von Anfang an zu fördern. So zeigt sich Talent in der Schule und letztlich in der Wissenschaft, lautet der einhellige Tenor. "Man merkt die Begabung unter anderem an den Fragen, die gestellt werden, die deutlich mehr Verständnis für die Materie offenbaren, als man vielleicht erwarten durfte", sagt der Mathematiker und Wissenschaftshistoriker Karl Sigmund von der Universität Wien. Auch er meint: "Es wäre falsch, zu behaupten, dass das ECTS-System den Wissenshunger und die Kreativität der Studierenden fördert."

In den Naturwissenschaften ist die Situation noch mehr zugespitzt. Durch Neugier getriebene Forschung ist hier oft sogenannte "High risk, high gain"-Forschung. Hohes Risiko kann also wirklich neue Erkenntnisse und hohen Nutzen bringen. Sie kann aber auch scheitern. In den Naturwissenschaften sind die Experimente teuer, die Faktoren Kosten und Zeit spielen folglich eine große Rolle.

Scheitern verboten

Sigrid Neuhauser, Biologin an der Universität Innsbruck, konkretisiert die Problematik am Anforderungskatalog in der Lehre. "Ph.D.-Studierende sollten die Erfahrung haben, mit Experimenten umzugehen, die scheitern können." Sie können sich das aber nicht leisten, weil sie für ihren Abschluss binnen kurzem drei Publikationen in einem Journal brauchen und negative Ergebnisse in den Naturwissenschaften kaum publizierbar sind. Forschung aus reiner Neugier sei nur unter Bachelor- und Master-Studierenden möglich. "Die haben aber noch nicht die Erfahrung", bringt es Neuhauser auf den Punkt.

Ist Neugier also ein Gefühl, das man sich an der Universität am besten gleich abgewöhnt? Das ist für die Wissenschafterin dann doch "zu drastisch formuliert". Es sei aber in ihrem Fach nur mehr "in wenigen Bereichen wirklich möglich, so ergebnisoffen zu arbeiten".

Natürlich ist das eine Beobachtung, die nicht in allen Studienrichtungen gültig ist. Wirtschaftswissenschafter Harald Oberhofer von der WU Wien und dem Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) sieht für unkonventionelle empirische Ideen hohe Publikationschancen. In der Volkswirtschaftslehre seien Arbeiten, die "curiosity-driven" entstehen, sehr gefragt. Das Risiko, zu scheitern, sei weit weniger hoch als in den an Experimenten reichen Naturwissenschaften. "Eine Zähmung der Neugier" ortet aber auch er.

Subversives Potenzial

Ist die Schlussfolgerung aus all dem also, dass eine Gesellschaft gut ist, die eine schrankenlose Lust auf Neugier, auf das Ausprobieren ohne Rahmenbedingungen möglich macht? In ihrem Buch Insatiable Curiosity zeigt die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny, dass eine Gesellschaft unkontrollierte Neugier nicht zulassen könne, da sie "mit einem allzu großen subversiven Potenzial" geladen sei.

Der Neugier müssten folglich Grenzen gesetzt werden: moralische, ethische, gesetzliche. Und im Hinblick auf die Ambivalenz des Begriffs, der als moralisch fragwürdig dennoch aber wichtig für den Fortschritt gilt, rät sie zu einer strukturellen, wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema. Also keine Neugier um der Neugier willen, sondern ein kritisches Hinterfragen, was sie bringt und wohin sie führt. Wenn man weiß, welche Grenzen der Drang, diese Lust auf neues Wissen haben kann und soll, dann spricht in einer freien Gesellschaft nichts gegen die Freiheit der Forschung.
(Peter Illetschko, 16.10.2022)