Immer wieder treffen Wanderer in Nepals hohen Bergregionen auch auf Schnee. Im Oktober sollte der Niederschlag, wenn überhaupt, nur sehr gering ausfallen. Doch seit wenigen Jahren sind die üblichen Wettermuster im Himalaja nicht mehr so verlässlich wie früher.

Foto: AFP / Prakash Mathema

Man könnte glauben, der Berg zerrinnt. Wo normalerweise leichte Wanderwege durch den Dschungel, über Wiesen und schließlich Geröll führen, haben sich Bäche und mitunter auch reißende Flüsse gebildet. Der Schnee fiel herab bis auf 3.500 Meter – was für das Himalaja-Land Nepal mitten im Oktober vollkommen unüblich ist. Seit Mitte vergangener Woche regnete es tagelang durch. Erdrutsche schwemmten viele der eigentlich leicht zu begehenden Pfade ins Tal.

Die 5.000er-Pässe sind überhaupt unpassierbar geworden. Am Larke-Pass am beliebten Manaslu-Circuit-Trek gerieten mehrere Gruppen aufgrund des plötzlichen Wetterumschwungs mit ihren Wanderführern in Bergnot. Mindestens zwei lokale Guides starben in den darauffolgenden Tagen im Schnee. Lokal wurde berichtet, dass vier Menschen vermisst würden. Auch in der Region Dolpo im Westen des Landes konnte zu manchen Touristen kein Kontakt hergestellt werden.

Touristen endlich wieder da

Oktober ist traditionell der stärkste Trekkingmonat in dem kleinen Land entlang des größten Gebirges der Welt. Nach langer Covid-Pause zieht der Tourismus endlich wieder an, von dem das wirtschaftsschwache Land so abhängig ist. Tausende ausländische Wanderer sind gerade auf den beliebten Trekkingrouten unterwegs.

Viele von ihnen sitzen nun in den Bergen fest. Die Lage ist unübersichtlich, erst langsam dringen Informationen aus den verschiedenen Bergregionen nach außen. Allein im Gebiet um den Annapurna, den Manaslu und den Dhaulagiri sollen sich laut Trekking Agencies Association of Nepal (TAAN) 700 Menschen in Hütten aufhalten und auf besseres Wetter beziehungsweise Rettung aus der Luft warten. Die Straße in die nördliche Bergregion Mustang soll durch massive Erdrutsche gänzlich blockiert sein, auch dort sollen sich mehrere Hundert Touristen und Touristinnen aufhalten.

Armee im Einsatz

Aus dem Manaslu-Gebiet konnten seit Samstag rund 120 gestrandete Wanderer per Helikopter ausgeflogen werden. Andere Orte entlang der Route konnten bisher nicht erreicht werden, weil es mancherorts immer noch regnet. Auch die nepalesische Armee ist im Einsatz, um Menschen aus dem Gebiet zu retten.

In Lukla, dem kleinen Flughafen am Fuße des Everest, sitzen nach Auskunft einer lokalen Trekkingagentur gar 1.500 ausländische und inländische Trekker fest, weil die Flugzeuge aufgrund der Wetterbedingungen nicht abheben können. Der Weitwanderweg zum Basislager des Mount Everest ist mit Abstand der beliebteste des Landes.

Während die ausländischen Wanderer die Bergregionen nicht verlassen können, kamen die sintflutartigen Regenfälle auch für die nepalesische Bevölkerung zur Unzeit. Viele Menschen wollten eigentlich das größte Festival des Landes, Dashain, feiern und dafür nach Hause reisen. Stattdessen strandeten viele irgendwo auf dem Weg dorthin.

Dutzende Tote

Besonders in Westnepal waren die Regenfälle stark, Erdrutsche forderten dort auch in den Hügelregionen dutzende Menschenleben. Die stärksten Wassermassen wurden wiederum im flachen Süden gemessen: Während Erdrutsche dort aufgrund der Topografie kein Problem darstellen, kam es an vielen Orten zu großflächigen Überschwemmungen.

Der viele Niederschlag ist für diese Jahreszeit in der Region vollkommen unüblich. Eigentlich sollte der Monsun längst vorbei sein. Vor rund einem Monat haben Starkregen und Gletscherschmelze bereits in Pakistan verheerende Überschwemmungen ausgelöst, mehr als 1.700 Menschen starben dabei.

Aktuell sind neben Nepal auch Nordindien und Bhutan vom Extremwetter betroffen. In Teilen Nordindiens betrug allein am vergangenen Sonntag die Regenmenge rund 1.300 Prozent der für diese Jahreszeit üblichen Menge, so der indische Wetterdienst. In Uttar Pradesh forderten Erdrutsche mindestens 18 Menschenleben. Und auch in Bhutan starben bei Erdrutschen vergangene Woche fünf Menschen.

Kein Ende des Monsuns

Klimaanalytiker befürchten, dass sich das Wetter langfristig ändern könnte und es keine echte Pause mehr zwischen Sommer- und Wintermonsun geben könnte. Schon im vergangenen Jahr kam es noch Ende Oktober zu starken Regenfällen. Das hätte für Millionen Menschen verheerende Folgen, die von den Trockenmonaten für die Landwirtschaft abhängig sind.

Beim UN-Klimagipfel im November wollen kleine Länder wie Nepal verstärkt auf die Notsituation aufmerksam machen. Sie fordern Entschädigungen von den energiehungrigen Industriestaaten, die die Hauptverantwortung für die negativen Klimaveränderungen tragen. (Anna Sawerthal aus Kathmandu, 12.10.2022)