Ob es der Living Planet Report ist, die alljährliche von Birdlife initiierte Vogelzählung oder irgendeine beliebige andere Bestandsaufnahme, sie alle haben eines gemeinsam: Sie führen vor Augen, dass es mit den Vogelpopulationen rund um den Globus rapid bergabgeht. Bei uns sind es besonders die Feld- und Wiesenvögel, denen Lebensraumverlust und industrielle Landwirtschaft heftig zusetzen.

Das European Bird Census Council hat erhoben, dass in Europa die Bestände typischer Feldvögel seit 1980 im Schnitt um beinahe 60 Prozent zurückgegangen sind. Die Nutzung von Landwirtschaftsflächen hat einen großen Einfluss auf diese Entwicklung, weshalb sich ein Team um Julia Staggenborg und Nils Anthes von der Universität Tübingen mit der Rolle von Ackerbrachen auseinandergesetzt hat.

Die Grauammer (Emberiza calandra) zählt zu jenen Vogelarten, die von mehrjährigen Brachen profitieren würden.
Foto: Uni Tübingen/Heiner Götz

Nahrung und Platz

Körnerfresser wie Feldsperlinge oder Goldammern finden nicht mehr genug Nahrung, weil bei der Ernte mit modernen Maschinen kaum noch Getreidekörner auf den Feldern zurückbleiben. Pflanzenschutzmittel und Flurbereinigungen haben Wildkräuter und ungenutzte Lebensräume wie Randstreifen, Böschungen oder Graswege verdrängt, die zwar für die Agrarproduktion verzichtbar, aber überlebenswichtig für Insekten und die Aufzucht von Jungvögeln sind.

Ab dem 1. Jänner 2023 beginnt die nächste fünfjährige Agrarförderperiode in der EU. Laut EU-Recht müssen Landwirte dann vier Prozent ihrer Äcker und Wiesen für den Erhalt der Artenvielfalt vorhalten und bekommen nur bei Erfüllen dieser Bedingung finanzielle Unterstützung. Diese sogenannte Konditionalität ist neu in der EU-Agrarpolitik. "Die Regelung ist eine große Chance für den Artenschutz", sagte Staggenborg, "diese Flächen sollten dann aber auch Maßnahmen vorbehalten sein, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen tatsächlich wirksam für den Erhalt der Artenvielfalt sind."

Brachen über längere Zeit für Insekten wichtig

Wie die Flächen für den Artenschutz im Detail behandelt werden müssen, regeln die Mitgliedsstaaten selbst im Rahmen eines nationalen "Strategieplans". Sinnvoll wären dabei mindestens zweijährige Brachen, wie die Forschenden nun in ihrer Überblicksstudie im Fachjournal "Conservation Letters" berichten, bei der insgesamt 143 frühere Forschungsarbeiten auswertet wurden. "Viele Insekten können in kurzzeitigeren Brachen ihren Fortpflanzungszyklus vom Sommer bis in das folgende Frühjahr nicht vollenden und fehlen dann den Brutvögeln als Nahrung", sagte Anthes.

Ein Schwarzkehlchen (Saxicola rubicola)
mit einer Schmetterlingsraupe im Schnabel.
Foto: Uni Tübingen/Nils Anthes

Der Entwurf des Strategieplans verpflichtet Landwirte zur zeitweisen Stilllegung von Flächen, erlaubt aber die Begrünung der Brache mit artenarmen Mischsaaten zum Beispiel aus Klee und Senf oder mit "Blühmischungen", die viele nichtheimische Pflanzen wie Sonnenblumen, Phazelien, Dill oder Persischen Klee enthalten. Deren hoher und dichter Wuchs unterdrückt Unkraut und ist deshalb bei Landwirten beliebt.

Besser Ackerkräuter statt Blühmischungen

"Viel wirkungsvoller für den Erhalt der Artenvielfalt ist es allerdings, wilde Ackerkräuter einfach sprießen zu lassen", so Anthes. "Diese heimischen Pflanzenarten werden von vielen unserer Insekten gebraucht und bieten optimale Brutplätze für Feldvögel." Durch Wildwuchs entstünde ein vielfältiges Nebeneinander von Gräsern, blütenreichen Kräutern oder Stellen, die ganz frei blieben. So hätten Vögel genug Nahrung, Schutz und Nistflächen.

Außer durch mehrjährige Brachen können Feldvögel geschützt werden, indem Landwirte erst spät im Jahr ihre Wiesen mähen, wie die Forschenden ebenfalls in ihrer Studie nachweisen. Oder indem sie beim Ernten einen Streifen Getreide stehenlassen, wie es in Großbritannien durch ein Gesetz vorgeschrieben ist, damit Feldvögel den Winter hindurch genug zu fressen finden. (red, 17.10.2022)