Präsidentin Zuzana Čaputová bei ihrem emotionalen Besuch am Anschlagsort.

Foto: REUTERS/Radovan Stoklasa

Zwei Tage nach dem Attentat zeugen Blumen und Kerzen in der Zámocká ulica von dem Schock, in den die Schüsse vor der Gay-Bar Tepláreň die slowakische Hauptstadt Bratislava gestürzt haben. Zwei junge Männer wurden dort, etwa zwischen Burg und Altstadt, am Mittwochabend kurz vor 19 Uhr getötet, eine 23-jährige Kellnerin schwer verletzt, als ein 19-Jähriger bis zu neunmal vor dem Lokal auf sie schoss. Das offenkundige Hassverbrechen führt nun zu einer Welle der Anteilnahme in ganz Europa.

Was über die Mordopfer bekannt ist

Der mutmaßliche Attentäter Juraj K. wurde wenig später tot aufgefunden, die Polizei geht von Selbstmord aus. Dass Matúš H. und Juraj V., der eine Sinologiestudent und selbst Barkeeper im Tepláreň, der andere Philosophiestudent, Opfer eines homophoben Verbrechens wurden, lässt sich aus den Nachrichten interpretieren, die K. in den Stunden auf der Flucht in sozialen Netzwerken absetzte. Sie waren gespickt mit Hassbotschaften gegen sexuelle Minderheiten und Häme über seine Opfer, etwa: "War das nicht lustig?"

Der Tageszeitung "Denník N" zufolge hat der Mann zudem auf einem unter Pseudonym betriebenen Twitter-Konto auch eine Nachricht mit den Hashtags #hatecrime #gaybar #bratislava veröffentlicht. In einem nach der Tat verbreiteten, 65 Seiten langen "Manifest" schwadroniert er von der Überlegenheit der "weißen Rasse" und nannte den norwegischen Rechtsterroristen Anders Behring Breivik als sein Vorbild.

Die slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová zeigte sich bei ihrem Besuch am Anschlagsort am Donnerstag bestürzt, umarmte demonstrativ den Besitzer der Bar – und nahm die politische Landschaft in der Slowakei in die Pflicht: "Seit drei Jahren sage ich, dass Worte Waffen sind. Dass wir Politiker für jedes einzelne Wort, das wir sprechen, verantwortlich sind. Doch viele füllen den öffentlichen Raum rücksichtslos mit Hass", schrieb die liberale Präsidentin auf Facebook.

Medien berichten von prominentem Vater

Über den mutmaßlichen Täter berichten slowakische Medien, er sei der Sohn eines erfolglosen rechtsextremen Politikers, dessen legal besessene Waffe zum Mordwerkzeug wurde.

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg sprach den Familien der Opfer am Freitag sein Mitgefühl aus. "Wir verurteilen diese abscheuliche Attacke", sagte Schallenberg auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem slowakischen Amtskollegen Rastislav Káčer, der sich von der Tat ebenfalls entsetzt zeigte: "Es war das erste Hassverbrechen dieser Art in der Slowakei", sagte Káčer auf Nachfrage des STANDARD. "Ich nehme das sehr ernst."

Als Ursache ortet Káčer unter anderem Hassrede im Internet. Auch er selbst sei Opfer von Hassbotschaften geworden, als er in seiner Zeit als Botschafter in Ungarn die Regenbogenfahne auf dem Botschaftsgebäude gehisst habe. "Man hat sogar damit gedroht, meine gesamte Familie umzubringen." Vielleicht könne man die meisten dieser Botschaften ignorieren, so Káčer. "Aber wenn nur einer von tausend so weit radikalisiert ist, wie wir es nun in der Slowakei gesehen haben, oder bereits vorher in Deutschland, in Norwegen, in Neuseeland oder in den Vereinigten Staaten, dann haben wir ein echtes Problem."

Politiker in der Verantwortung

Der Polizei oder den Geheimdiensten will der Außenminister keine Schuld geben. Es sei "extrem schwierig, die Nadel im Heuhaufen zu finden". Eher sucht Káčer die Verantwortung – wie zuvor Präsidentin Čaputová – auch bei den Politikern selbst: "Wir sind tonangebend beim öffentlichen Diskurs. Auch in der Slowakei können wir aber sehen, dass das Niveau der Kommunikation immer tiefer sinkt – und dass sogar manche Politiker Hassrede befeuern." Maßstab für die Reife einer Gesellschaft sei gerade die Toleranz gegenüber Minderheiten.

Auch Premierminister Eduard Heger, der Medienberichten zufolge selbst von dem Terroristen als mögliches Anschlagsziel ausgespäht wurde, verurteilte die Morde auf das Schärfste: "Wenn ich sage, dass die Slowakei ein freies und demokratisches Land ist, dann meine ich das auch so. Es ist nicht hinnehmbar, dass jemand aufgrund seiner Lebensweise um sein Leben fürchten muss." EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kondolierte am Donnerstag den Hinterbliebenen der Todesopfer. "Wir müssen die LGBTQI-Gemeinschaft schützen", sagte die Deutsche. Für Matúš H. und Juraj V. kommt dies freilich zu spät. (flon, schub, 14.10.2022)