Robert Smith hat in Sachen Zukunft noch nie ein gutes Gefühl gehabt. Hier ist er diese Woche live in Oslo zu sehen. Nächste Woche am Sonntag, 23. 10., wird er das Wien live wissen lassen.

Foto: Imago/Gonzalez

Ob man Leuten, die bei Eiswind und Wolkenbruch in T-Shirts herumlaufen, mit einem Gewitter und Starkregen wirklich Angst machen kann? Robert Smith und The Cure probieren es zumindest. Vor Beginn des Konzerts im norwegischen Oslo wird das Nahen der Sündenflut eine gute Viertelstunde lang bei zünftiger Lautstärke in den Saal übertragen. Denn siehe, das Ende ist nah!

Seit Johann Nestroys Kometenlied hat sich nur eines geändert. Niemand braucht noch Kometen. Heute erledigen wir uns selber: "Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang." Robert Smith kommt zum herzzerreißenden elegischen neuen Song Alone auf die Bühne und erhebt sein markant tränenersticktes Klagen: "This is the end of every song that we sing / The fire burned out to ash and the stars grown dim with tears / cold and afraid, the ghosts of all that we’ve been / We toast, with bitter dregs, to our emptiness."

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Seit 14 Jahren hat Robert Smith kein neues Album veröffentlicht. Für den September war endlich ein neues angekündigt worden. Songs of a Lost World liegt allerdings immer noch auf Halde, besser gesagt, auf Schutthalde. Es geht in den auf der aktuellen Europatournee vorgestellten neuen Liedern um eine Welt nach dem Zusammenbruch. Vom Himmel auf die Erde fallen sich die Vöglein tot. Die einst hell leuchtenden Sterne trüben sich durch den verweinten Blick ein. Überall Kälte und nackte Angst. Ein letztes Prost noch unserer inneren Leere mit einem abgestandenen Noagerl. Nicht nur in der Traumdeutung schrillen bezüglich dieser Bilder sämtliche Alarmglocken. In der Welt von Robert Smith gilt so ein süßes Vogerl ja nicht als Metapher für flatterhaftes Glück. Das Vogerl erweist sich grundsätzlich als Unglücksrabe.

Unten ist jetzt Oben

27 Songs und gut drei Stunden lang wird uns Robert Smith bestens bei Stimme mit den hervorragend eingespielten The Cure so tief ins Jammertal des irdischen Daseins hinunterziehen, dass eines passiert: Wir empfinden am Ende sogar schon das Unten als Oben.

Robert Smith mit der Vogelnestfrisur und dem nach einer Belastungsstörung verschmierten Clown-Make-up perfektioniert seit Ende der 1970er-Jahre eine eigene schattseitige Welt in seinen Texten. Musikalisch wird mit mollverhangenen Synthesizerschlieren, grummelig im Magen bohrendem Melodiebass und oft tief in der Nebelsuppe über Dreiklangszerlegungen irrlichternden Gitarren die Basis für den Gesangsvortrag geliefert.

Nicht nur über 40 Jahre alte, live gegen Ende der Show gelieferte Klassiker wie A Forest oder At Night künden vom Schrecken der Finsternis. Auch die neue, noch nicht veröffentlichte Arbeit And Nothing Is Forever kündet einmal mehr von Abschied, Trennung, Untergang, Tod: "Promise you’ll be with me in the end / Slide down close beside me / In the silence of a heartbeat."

arcti1 Concerts

Der heute 63-jährige Robert Smith begleitet mit diesem sich letztlich wohl kathartisch in etwas Gutes wandelnden Weltschmerz eine ganze, vor allem in den schwarz gekittelten 1980er-Jahren aufgewachsene Generation. Wie Farin Urlaub, der Sänger der Ärzte, es in seiner Jugenderinnerung Sumisu auf den Punkt bringt: Und immer wenn wir traurig waren / Und traurig waren wir ziemlich oft / Nahm ich dich in meine Arme / Und dann hörten wir die Smiths / Manchmal auch The Cure oder New Order / Aber größtenteils die Smiths."

Robert Smith als auf hohem Niveau agierenden High-End-Jammerlappen abzutun wäre allerdings viel zu kurz gegriffen. Mittlerweile führt er zwar sein treues Publikum im sechsten Jahrzehnt auf den Indie-Rock-Tanzflächen der Welt großteils über eine gemeinsam empfundene Trostlosigkeit und Verzweiflung zusammen. Und auch in Oslo werden die 10.000 Menschen in der Halle mitunter mit den Füßen wippen. Zum besseren Verständnis: Das bedeutet in Norwegen, dass der Saal durch die Decke geht. Richtig Stimmung kommt dann aber erst im einstündigen Zugabenblock auf.

In dem vertrauen The Cure auf die guten alten Liebeslieder. Allesamt zeitlose Klassiker wie Friday I’m in Love, Close to Me oder Just like Heaven. Widerstand ist zwecklos. Wem es nach dem Hören des Familiensilbers nicht besser geht, der muss nach dem Konzert ein gelbes T-Shirt anlegen und sich eine rote Nase umbinden. Schmäh.

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Liebe ist trotz aller Hoffnungslosigkeit der entscheidende Faktor, der die Schattenwelt erst erträglich macht. Sie gedeiht sogar im Irrenhaus wie in The Walk oder dem blutroten Albtraum Kyoto Song. Wir Freunde der finsteren Nacht haben keine Chance. Wir sind verdammt. Robert Smith tanzt dazu fröhlich und linkisch.

Lullaby, dieser Albtraum vom Spinnenmann, der in der Nacht kommt, um einen zu fressen, funktioniert mit der zackig gerissenen Gitarre über einem Schlurf-Rhythmus noch immer bestens. Am Ende ist im Endsong die Welt dann doch untergegangen: "Left alone with nothing at the end of every song. Nothing. Nothing. Nothing." Halt, einer geht noch. Jetzt heißt es tapfer sein: Boys Don’t Cry. (Christian Schachinger, 14.10.2022)