Die Chatkontrolle erntet weitere Kritik.

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Die Kritik am EU-Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von sexualisierter Gewalt an Kindern bricht nicht ab. Nachdem sich die zuständige EU-Kommissarin für Inneres Ylva Johansson Anfang der Woche bereits den Fragen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments stellen musste, erteilen nun die Wissenschaftlichen Dienste des deutschen Bundestages den Plänen eine Absage. Die aktuelle Fassung der Verordnung enthalte "unverhältnismäßige Eingriffe" in die Grundrechte der Bevölkerung, heißt es demnach in einer von Netzpolitik.org veröffentlichten Analyse der Chatkontrolle.

Laut dieser stehe es zwar außer Frage, dass der "Schutz vor sexuellem Missbrauch an Minderjährigen im Internet" immer wichtiger werde, insbesondere deshalb, weil "das Internet bzw. Messengerdienste bei Jugendlichen eine immer größer werdende Rolle im Leben einnehmen und somit auch die Gefahr eines solchen Missbrauchs steigt". Es sei jedoch fraglich, ob der Verordnungsentwurf in seiner aktuellen Fassung "für das bezweckte Vorhaben überhaupt einen Mehrwert darstellt".

Skepsis an Treffsicherheit

Grund dafür sei, dass man nicht mit Sicherheit sagen könne, ob Messenger "überhaupt eine tragende Rolle bei der Verbreitung kinderpornographischer Dateien gespielt haben". Bisherige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Vorratsdatenspeicherung würden außerdem nahelegen, dass "hohe Anforderungen" an die Chatkontrolle zu stellen seien – die der Entwurf derzeit nicht erfülle: "Es erscheint unwahrscheinlich, dass eine grundsätzliche Überwachung von Individualkommunikation der Überprüfung der (europäischen) Grundrechte standhalten würde."

Datenschützer warnen bereits seit Monaten, dass eine Umsetzung der EU-Pläne zu einer grundsätzlichen Unterwanderung verschlüsselter Kommunikation führen würde. Grund dafür ist, dass die Suche nach Missbrauchsmaterial am Smartphone der Bürgerinnen und Bürger stattfinden würde. Der Zugriff auf dem Transportweg ist aufgrund von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung meist nicht möglich. Dank dieser können Inhalte erst bei Ankunft beim Empfänger ausgelesen werden.

"Überzogen"

Das Child Sexual Abuse Material (CSAM) – so der Fachbegriff für Missbrauchsmaterial – soll mithilfe sogenannter Hashes, also digitaler Fingerabdrücke gefunden werden. Diese können mit bekanntem Material abgeglichen werden. Das Problem dabei: Erst mal implementiert, kann dieses System nach allem möglichen gesucht werden.

Dabei bleibt es aber nicht. Auch Grooming, also die Kontaktanbahnung zu Kindern, soll mithilfe von KI-Systemen gefunden werden können. Ein interner Bericht der EU-Kommission warnte schon im Juni, dass bestehende Erkennungssysteme eine Trefferquote von nur 90 Prozent haben – was hunderttausende falschpositive Fälle bedeuten würde, die zur händischen Kontrolle an eine eigens einzurichtende EU-Behörde geschickt würden.

Der Hackerverein Chaos Computer Club bezeichnete die Chat-Kontrolle deshalb schon im Mai als "überzogene und fehlgeleitete Überwachungsmethode". Eine Sorge, die auch einige EU-Abgeordnete teilen. Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags halten jedenfalls fest, dass "der Verordnungsentwurf in seiner aktuellen Fassung so nicht in Kraft treten dürfte". (mick, 16.10.2022)