Die supraleitenden Magneten des LHC lenken und beschleunigen die Protonen innerhalb des 27 Kilometer langen kreisförmigen Tunnels.
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Was haben der größte Teilchenbeschleuniger der Welt und die in unmittelbarer Nähe gelegene Stadt Genf gemeinsam? Die Antwort: Sie brauchen ähnliche Mengen Strom. Genf mit seinen 200.000 Einwohnern hat nur etwas mehr als den doppelten jährlichen Stromverbrauch wie der LHC des nahen Kernforschungszentrums Cern. Drei Terawattstunden der Stadt stehen 1,3 Terawattstunden des Beschleunigers gegenüber – obwohl der LHC nur einen Teil des Jahres in Betrieb ist. In Summe belaufen sich die Stromkosten des Beschleunigers auf 90 Millionen Euro im Jahr.

Um den Einfluss auf die Stromversorgung der Region gering zu halten, gibt es seit jeher eine Vereinbarung des Kernforschungszentrums Cern mit dem französischen Stromanbieter Électricité de France (EDF), der die Elektrizität für das überdimensionale Forschungslabor liefert. Der LHC richtet seine Stillstandszeiten nach der Verfügbarkeit aus: Messläufe finden im Sommer statt, während im Winter, wenn der Stromverbrauch generell höher ist, die Wartungsphasen angesetzt sind.

Doch das genügt angesichts der angespannten Lage auf dem Energiemarkt nicht mehr. Beratungen der EDF mit Cern Ende September sollten nun nach Wegen suchen, den enormen Energieverbrauch überhaupt zu reduzieren. Dabei wurde vereinbart, die diesjährige Wartungsphase um zwei Wochen vorzuziehen, nächstes Jahr sollen es vier Wochen sein, die der Beschleuniger früher in den Lockdown geht, was einer Reduktion der Betriebszeit um 20 Prozent entspricht.

Wartungsarbeiten an den supraleitenden Magneten.
Foto: CERN

Kühlsystem muss weiterlaufen

Ganz abschalten lässt sich der LHC allerdings nicht, denn die Kühlung der Magnetspulen muss aufrechterhalten werden. Der 27 Kilometer lange unterirdische Tunnel, in dem die beschleunigten Protonen ihre Kreise ziehen, ist fast auf der gesamten Länge mit supraleitenden Magnetspulen ausgekleidet, die der Beschleunigung und Ablenkung der Teilchen dienen. Damit die Spulen supraleitend werden, müssen sie allerdings sehr kalt sein. Das wird mit flüssigem Helium erreicht, das bei einer konstanten Temperatur von etwas unter zwei Grad über dem absoluten Nullpunkt gehalten wird. Es handelt sich beim LHC um das größte derartige "kryogene" System der Welt, in Summe sind es 120 Tonnen Helium, deren Kühlung einer Leistung von 40 Megawatt bedarf. Das entspricht etwa der zehnfachen Leistung einer elektrischen Lokomotive.

Traditionell wird am Cern lieber an der Oberfläche gespart als in den unterirdischen Beschleunigeranlagen. Wer bei der Inbetriebnahme des LHC vor fünfzehn Jahren vor Ort war, konnte sich über den Retro-Charme der Verwaltungsgebäude wundern, für deren Renovierung einfach kein Geld übrig war. Diesmal wurde der Beginn der diesjährigen Heizperiode für die Gebäude um eine Woche nach hinten verlegt.

All das wird Geld und Energie sparen, doch darum geht es beim Cern nur bedingt, wie Forschungsdirektor Joachim Mnich erklärt. "Wir tun das als Zeichen sozialer Verantwortung." Strom werde in Europa noch zu großen Teilen aus Gas gewonnen, und man wolle sicherstellen, dass Haushalte Gas zum Heizen zur Verfügung hätten. Ganz freiwillig scheint der Verzicht aber nicht gewesen zu sein: Ging ihm doch ein Aufruf der EDF voraus.

Ob es bei diesen Sparmaßnahmen bleiben wird, ist offen. Laut einem Bericht der Fachzeitschrift "Nature" sind für den Energienotfall weitere Maßnahmen angekündigt.

Auch andere Forschungslabore betroffen

Der LHC ist nicht die einzige große Forschungsanlage, die von den gestiegenen Energiepreisen betroffen ist – auch in Großbritannien arbeitet man an Energiesparplänen für Teilchenbeschleuniger. Beim Deutschen Elektronen-Synchrotron Desy in Hamburg hat man sich durch früh abgeschlossene Lieferverträge gegen steigende Preise abgesichert und für nächstes Jahr bereits 80 Prozent des Energiebedarfs gedeckt. Für 2024 sind es 60 Prozent. Man überlegt nun, ob es sich überhaupt lohnt, in die restlichen 20 Prozent fürs kommende Jahr zu investieren.

In Österreich ist der medizinische Teilchenbeschleuniger Medaustron, der zur Krebstherapie eingesetzt wird, davon betroffen, der immerhin elf Gigawattstunden pro Jahr verbraucht. Auch beim Vienna Scientific Cluster, unter dessen Schirm die leistungsfähigsten Supercomputer des Landes betrieben werden, spürt man die teure Energie. Die Stromkosten sollen sich dieses Jahr verdoppeln.

Für die Forschungen am LHC ist das ein Rückschlag, nachdem erst diesen April Messungen mit erhöhter Genauigkeit aufgenommen wurden. Eine Verkürzung des Messzeitraums ist mit einer Reduktion der Zahl der Kollisionen und damit der Messgenauigkeit verbunden, die im Verhältnis zum gesamten, bis 2025 geplanten Messlauf aber gering ausfallen dürfte, wie Mnich erklärt – sofern nicht weitere Energiesparmaßnahmen nötig werden. (Reinhard Kleindl, 18.10.2022)