Energie für ein ganzes Dorf, aus dem Dorf: Österreichische Bürgermeisterinnen und Bürgermeister begutachten eine Biogasanlage.

Foto: sebastian fellner

Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl ist unzufrieden mit dem Tempo bei innovativen Projekten.

Foto: apa / roland schlager

Die Energiewende stinkt. Wer sie will, muss mit ihrem Geruch klarkommen. Eine Busladung österreichischer Bürgermeisterinnen und Bürgermeister steht in einer von einem unappetitlichen Cocktail produzierten Duftwolke: Hier lagern Schweinekot, Biomüll und alles, was die 530 Einwohnerinnen und Einwohner von Kněžice in der Toilette hinunterspülen. Doch kaum einer der Ortschefs verzieht wegen des Gestanks das Gesicht: Im Gegenteil, sie schauen sich beeindruckt um. Sie sind hier, um sich etwas von Kněžice abzuschauen.

Denn das tschechische Dorf ist dank seiner übelriechenden Biogasanlage komplett energieautark: Alle Häuser, Wohnungen und Gemeindegebäude werden seit 2004 mit dem Kraftwerk beheizt und mit Strom versorgt. "Wir wollten einfach unabhängig sein", sagt Vizebürgermeisterin Jana Sedláč ková zum STANDARD. Warum das in Tschechien einzigartige Konzept ausgerechnet in Kněžice umgesetzt werden konnte? Sedláčková macht dafür zwei Personen verantwortlich: eine visionäre Gemeinderätin und einen umsetzungsfreudigen Bürgermeister. Der einen wäre, lange bevor das en vogue war, die Idee für die vollständige Energieunabhängigkeit gekommen. Der andere habe sie dann politisch ermöglicht.

Energie im Fokus

Das gute Dutzend heimischer Bürgermeister sind nicht so interessiert am autarken Kněžice, weil sie als Ökoheldinnen in die österreichische Geschichte eingehen wollen. Sondern weil die Versorgung mit Strom und Wärme wegen des Kriegs in der Ukraine in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung gerutscht ist. Zuletzt landete die Stadt Salzburg in den Schlagzeilen, weil sie das Warmwasser in Schulen abdrehen wollte – als Energiesparmaßnahme. Die Idee wurde bald darauf wieder zurückgezogen. "Jede Gemeinde ist mit der Frage konfrontiert, wie man die Energieversorgung sichert", sagt Andrea Kaufmann. Sie ist ÖVP-Bürgermeisterin in Dornbirn und Vizepräsidentin des Gemeindebunds, der die Reise nach Tschechien organisiert hat. Der Austausch mit Gemeinden, die Lösungen für die schwierige Energiefrage gefunden haben, sei deshalb besonders wertvoll.

Wärme fürs Haus, Dünger fürs Feld

Kněžice gilt als eines der europäischen Vorbilder, was die autonome Versorgung mit Energie betrifft. Ständig würden Delegationen zu Besuch kommen, um sich die Anlage anzuschauen. An diesem Nachmittag führt die Vizebürgermeisterin die kommunale Reisegruppe aus Österreich durch das sonst vollständig ausgestorbene Örtchen.

Kamil Soukup, Leiter des Biogasbetriebs, zeigt den Ortschefinnen und Ortschefs die weitläufige Anlage, die Kněžice mit Energie versorgt: Auf einem Laufband liegen Heuballen, daneben haushohe Haufen Hackschnitzel. Weiter hinten stehen breite Betonsilos, in denen die stinkende Mischung einen Monat lang fermentiert wird, um eine konstante Wärme von 40 Grad Celsius zu generieren. Ausgekühlt dient die Masse dann als Dünger für die Felder im Dorf.

Allerdings gilt die Autarkie von Kněžice nur rechnerisch: Denn die tschechischen Gesetze verlangen von der Gemeinde, ihren selbstproduzierten Strom wieder ins allgemeine Netz zu speisen. Die Gemeinde würde den Strom gern direkt verwenden – und hätte dabei auch keine Sorge vor einem Ausfall: Seit der Inbetriebnahme der Anlage laufe sie durchgehend, schildert Betreiber Soukup.

In Österreich ist der Verbrauch des eigenen Stroms in der Nachbarschaft möglich, wenn man einige bürokratische Hürden zu überspringen bereit ist. "Rechtlich sind wir weiter, was Insellösungen betrifft", sagt Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl auf dem Heimweg von Kněžice, "aber dafür sind sie emotional so weit, dass sie es miteinander machen." Das Autarkieprojekt der Gemeinde, so schilderte es zumindest die Vizebürgermeisterin, werde von der gesamten Bevölkerung mitgetragen. Riedl, selbst ÖVP-Bürgermeister von Grafenwörth, scheint das in Österreich zu vermissen.

Video: Energiegemeinschaft in Niederösterreich: "Eine Machtverschiebung von den Großen zu den Kleinen"
DER STANDARD

Steiniger Weg

Rechtliche Hürden bei innovativen Projekten kennt der Bürgermeistervertreter selbst sehr gut: Seit Jahren bemüht er sich um eine schwimmende Photovoltaikanlage auf einem Schotterteich. Sie würde ganz Grafenwörth mit Strom versorgen, sagt Riedl. Die Bewilligung dafür hängt unter anderem an zahlreichen Gutachten – die dem Ortschef allesamt zu lange dauern. Er wolle vor allem "Labore" für Innovationen ermöglichen. "Das muss man sich halt trauen – und danach erst die Regeln diskutieren."

In der Theorie, sagen die Verantwortlichen in Kněžice, könnte man deren Modell auf jede Gemeinde umlegen. In der Praxis wird es freilich schwieriger: Millionen an EU-Förderungen flossen in das Projekt. Und nicht zuletzt braucht man für den Hackschnitzelteil der Anlage auch ausreichend Holz.

Vom Gestank aus den Silos merkt man im Ort selbst übrigens nichts. Im Gegenteil: Weil die Biogasanlage etliche dreckige Ölheizungen ersetzte, riecht es im Ort nun sogar besser. (Sebastian Fellner aus Knežice, 18.10.2022)