Newton-Bilder wie dieses aus dem Jahr 1980 irritieren bis heute.

Foto: Helmut Newton Foundation

Nicht nur sexistisch und rassistisch" sei das Werk Helmut Newtons, befand 1993 die damals prominenteste deutsche Feministin Alice Schwarzer, "sondern auch faschistisch". Und weiter: Der Emigrant und Jude Newton sei vom Lager der Opfer in das Lager der Täter übergetreten.

Newton konterte den in Schwarzers Zeitschrift Emma publizierten Artikel und die maßlose Übertreibung in seiner Antwort mit bösen Untergriffen: Er kenne das "Fräulein Schwarzer" nicht, ließ der weltberühmte Fotograf die Öffentlichkeit wissen, er wisse aber, dass "sie nicht sehr hübsch" sei.

Begleitet wurde der aufsehenerregende Schlagabtausch der beiden von einem Gerichtsprozess, weil die Emma Bilder Newtons ohne Copyright abgedruckt hatte – eine Stellvertreterschlacht, die Newtons Anwälte gewannen. Was Schwarzers Sexismusvorwurf angesichts Newtons Frauenbilder anbelangt, glimmt die Debatte dagegen beinahe 20 Jahre nach dem Tod des Hochglanzfotografen weiter vor sich hin.

Wer hier das Objekt der Begierde ist, daran lässt Helmut Newton keinen Zweifel. Der Fotograf schoss das Motiv 1975 für die "American Vogue". Den Namen des Models anzuführen (Lisa Taylor), hält die Wiener Schau leider nicht für notwendig.
Foto: Helmut Newton Foundation

Die lodernden Flammen sind zwar einem kleinen Häufchen Glut gewichen, doch bis heute erzeugt das rund eine halbe Million Fotografien umfassende Werk Newtons bei vielen Unbehagen. Jetzt zeigt das Bank Austria Kunstforum eine Wanderausstellung der Berliner Helmut Newton Foundation, die zum 100. Geburtstag des Fotografen im vergangenen Jahr entstanden ist und Corona-bedingt erst verspätet in Wien zu sehen ist.

Ob sie neue Einsichten in das Werk des in Berlin geborenen und nach Emigration und Rückkehr nach Europa in Paris, Monte Carlo und Los Angeles lebenden Starfotografen bereithält, darf allerdings bezweifelt werden. Zu konventionell ist die Aufbereitung dieser Best-of-Ausstellung, zu locker die Anbindung an die Diskussionen der Gegenwart. MeToo ist bei diesem Fotografen kein Thema, kein Model hat je gegen ihn Vorwürfe erhoben, im Gegenteil, die meist in Anwesenheit von Newtons Frau June (sie fotografierte unter dem Künstlernamen Alice Springs) stattgefundenen Shootings scheinen von gegenseitiger Wertschätzung geprägt gewesen zu sein.

Ein Tanzabend von Pina Bausch brachte Newton auf die Idee für dieses Bild.
Foto: Helmut Newton Foundation

Das Frauenbild Newtons irritiert aber auch heute noch, vor allem wenn viele der Aktbilder wie an der Wiener Freyung in Überlebensgröße ausgestellt werden. Die aalglatte Körperlichkeit seiner nackten Mode-Amazonen, mit denen Newton ab Anfang der Achtziger aufrechte Feministinnen erboste, erzählt aber in erster Linie etwas über die Zeit ihrer Entstehung, sprich die Phantasmagorien der Achtziger. Newtons Models sehen aus wie geklont, von der Statur bis hin zur Intimhaarfrisur gleichen sie sich in ihrer Charakterlosigkeit. Sie drücken Dominanz und Stärke aus, selbst oder vielleicht gerade weil sie auf waghalsigen Stilettos thronen oder mit Bondage-Stricken eingeschnürt sind.

Newton hat klassische Männerfantasien in eine neue Gestalt gehüllt und sie mit dem Konsumismus der damaligen Gegenwart kurzgeschlossen. Dass Erstere wohl seinen eigenen Begehrensstrukturen entsprachen, macht ihn bis heute angreifbar. Dass seine Bilder aber auch einer Zeit, in der etwa der Philosoph Jean Baudrillard von der Simulation einer Hyperrealität sprach, den Spiegel vorhielt, macht sie relevant. Zumal ihr Zeichenrepertoire immer noch frisch erscheint.

Ein Modefoto aus der britischen Vogue von 1967
Foto: Helmut Newton Foundation

Das ist in erster Linie an den Modefotos ablesbar, die den Schwerpunkt der Wiener Ausstellung bilden. Newton war ein Geschichtenerzähler, seine Mode-Storys speisen sich genauso aus Kriminalromanen, dem Film noir, der griechischen Mythologie oder der Ästhetik Leni Riefenstahls (daher Schwarzers Faschismus-Vorwurf). Setzten andere Fotografen Mode oder Accessoires einfach ins rechte Licht, ging der Anspruch des als Helmut Neustädter 1920 in Berlin-Schöneberg geborenen Fotografen viel weiter.

Vor allem für die italienische und französische Vogue schuf er Bilderstrecken, die Erzählzusammenhänge suggerierten und so die Fantasie ankurbelten. Fotografen wie Steven Meisel oder Steven Klein sind bis heute Newtons gelehrige Schüler. Die Lust am Witz, an der Ironie und – je älter er wurde – der Provokation sollte man dabei nicht unterschätzen.

Werbesujet für Bulgari
Foto: Helmut Newton Foundation

Modefotografie agiert bis heute im Spannungsfeld zwischen Kunst und Kommerz, eine Krokotasche neben den Beinen einer toten Frau oder einen Bulgari-Ring samt Messer und Ekel-Hendl zu fotografieren erzürnt Werbekunden. Newton reizte deren Geduld aus, und nachdem er Anfang der Siebziger einen Herzinfarkt erlitt, pfiff er fortan sogar gänzlich drauf. Damit machte er den Weg frei für seine umstrittenen Big Nudes- und Naked and Dressed-Serien, angesichts deren jemand wie die Theoretikerin Susan Sontag von Misogynie und Monsterfantasien sprach.

Dem Ruhm Newtons hat das nicht geschadet, im Gegenteil, kaum einer aus dem Jetset von Hollywood oder Paris, der sich nicht von dem Fotografen ablichten lassen wollte. Ihn selbst, sagte Newton, hätten unter den Berühmten vor allem die Berüchtigten interessiert: eine Charlotte Rampling, die mit dem S/M-Klassiker Nachtportier berühmt wurde, ein David Lynch, die er gemeinsam mit Isabella Rossellini fotografierte, oder ein Gianni Versace, den er nackig vor einem Schlachtengemälde drapierte.

Romy Schneider-Porträt von 1974
Foto: Helmut Newton Foundation

Newtons Porträts gehören zum Besten, was das Genre zu bieten hat. Allein sie rechtfertigen den Besuch einer Ausstellung, die es sich ansonsten aber zu einfach macht und auf die Zeitlosigkeit dieses Fotografen pocht. Dabei ist es gerade Newtons Rolle in seiner Zeit und seinem Metier, die eine hintergründigere Aufarbeitung seines Œuvres notwendig gemacht hätte. (Stephan Hilpold, 19.10.2022)