Über das Bezeichnen von Staaten als "Kasperlnationen" beziehungsweise "Krüppelnation" sagte Murgg im Nachhinein, er habe "inakzeptable" Begriffe verwendet.

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Graz – Ein Kuriosum war am Dienstag in der Sitzung des steirischen Landtags zu beobachten: Grüne und Neos richteten eine dringliche Anfrage an Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP) zur "Haltung der Steiermark zum Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine". Dies zielte aber auf KPÖ-Mandatar Werner Murgg ab, wegen Reisen nach Belarus und in den Donbass. Murgg folgte den zahlreichen Rücktrittsaufforderungen nicht, unterstützte aber einen Antrag, der Russlands Angriff verurteilte.

Murgg hatte sich erst am Dienstagvormittag bei einer Debatte zum Budget für zuvor getätigte Wortmeldungen zu den Nachfolgestaaten Jugoslawiens, die er als "Kasperlnationen", und zur Ukraine, die er als Krüppelnation" bezeichnete, entschuldigt. Er bat auch für Auftritte in Belarus um Verzeihung: "Ich habe Begriffe gebraucht, die inakzeptabel sind." Er versuche, begangene Fehler nicht kleinzureden, die Sache belaste ihn auch emotional. "Ich entschuldige mich auch von diesem Platz aus." ÖVP-Mandatare hatten schon während des ganzen Sitzungstages am Ende jeder Wortmeldung die Aufforderung "Herr Murgg, treten Sie zurück" an den Mandatar gerichtet.

Krautwaschl: Opfer-Täter-Umkehr

Grünen-Klubchefin Sandra Krautwaschl rief zu Beginn der Anfrage am späten Nachmittag "noch einmal in Erinnerung, worum es hier eigentlich geht. Es sind die unfassbaren Folgen von Putins Überfall auf die Ukraine und der damit einhergehende Zivilisationsbruch." Krautwaschl sprach von "Putins Zerstören und Morden" und dass es Anzeichen von ethnischen Säuberungen in der Ukraine gebe. Das alles mache fassungslos und verschlage einem die Sprache, aber es sei der Gipfel, wenn "ein Abgeordneter dieses Hauses und andere in diesem Lande versuchen, diesen Völkerrechtsbruch zu legitimieren". Und es werde in der Opfer-Täter-Umkehr so getan, als sei die Ukraine selbst schuld.

Drexler sagte in der Beantwortung der drei Fragen, etwa nach der offiziellen Haltung der Steiermark zum Überfall Russlands und der territorialen Unverletzbarkeit der Grenzen: "Der 24. Februar markiert ein zutiefst erschütternde und tragische Zäsur es 21. Jahrhunderts." Man sei aus dem Traum gerissen worden, dass in Europa Krieg und Vernichtung der Vergangenheit angehörten. "Ich und die steirische Landesregierung verurteilen diesen verbrecherischen Angriffskrieg auf das Schärfste, und wir werden alles tun, um die Ukraine in den nächsten Monaten und Jahren zu unterstützen." Jeder Staat habe unveräußerliche Rechte, mag er auch in der Nachbarschaft der Russischen Föderation liegen, so Drexler unter Applaus.

Es stehe ihm nicht zu, sagte Drexler, von der Regierungsbank aus einen Abgeordneten zum Rücktritt aufzufordern. Aber er fordere die Kommunistische Partei und die Klubvorsitzende Claudia Klimt-Weithaler auf, endlich Konsequenzen zu ziehen.

Murgg sei der Friedensbewegung verpflichtet

Er sage das nicht leichtfertig, so Drexler, aber es gebe Momente, in denen jeder klar wissen müsse, auf welcher Seite er stehe. Er lade die Grünen aber auch ein, die Position der Spitze der Landeshauptstadt Graz (KPÖ-Bürgermeisterin Elke Kahr, Anmerkung) zu erfragen, spielte Drexler auf KPÖ-Gemeinderat Kurt Luttenberger an, der 2019 ebenfalls in den Donbass gereist war und vor dem Grab eines getöteten prorussischen Milizenführers posiert hatte.

Der solcherart gescholtene Murgg sagte, er habe sich am Vormittag für seine "schweren begrifflichen Fehlleistungen" entschuldigt. Es gehe aber offenbar darum, ihn als Mittäter des Überfalls auf die Ukraine zu identifizieren. Er habe unmittelbar nach Russlands Angriff diesen als Völkerrechtsbruch bezeichnet. Mit seinem Reisen habe er auch ein Zeichen für die Wiederbelebung des Minsker Prozesses setzen wollen. "Den Ukrainern kommt wie jedem anderen Volk das Recht auf Selbstbestimmung zu."

"Ich bin der Friedensbewegung verpflichtet und lasse mir das Wort nicht verbieten und umdrehen", verteidigte sich der Abgeordnete. Seine Gedanken und Vorschläge zu einem möglichen Friedensprozess deckten sich mit verschiedenen internationalen Vorschlägen. Es werde nicht gelingen, ihn zum Mittäter zu machen, sagte Murgg.

FPÖ: Grüne Doppelmoral

Neos-Klubchef Niko Swatek warf Murgg unter anderem Geschichtsverdrehung vor. "Sie haben sich an die Seite der von Putin installierten 'Außenministerin' der 'Volksrepublik Donezk' gestellt und die 'Unabhängigkeit' gefeiert", so Swatek. Dies sei keine Friedensmission gewesen. Was Murgg nicht sehen wolle: "Legt Russland die Waffen nieder, ist der Krieg zu Ende. Legt die Ukraine die Waffen nieder, ist sie am Ende." Wer von einem Angriffskrieg des Westens spreche, habe jede Grenze überschritten, sagte Swatek.

FPÖ-Mandatar Marco Triller wies darauf hin, dass die Freiheitlichen die Aussagen Murggs nicht unterstützten, ja ablehnten und den Angriffskrieg Russlands und die Annexion ukrainischen Gebiets verurteilten würden – ebenso wie man die Helsinki-Schlussakte anerkenne und respektiere. Aber das Interpellationsrecht (wie eine dringliche Anfrage, Anmerkung) sei nicht dazu da, gegen einen Mandatar dieses Hauses vorzugehen. Triller sprach von "grüner Doppelmoral". Im Landtag beschwerten sich die Grünen über die KPÖ, im Grazer Rathaus seien sie mit der Partei in der Regierung.

Entschließungsantrag einstimmig angenommen

SPÖ-Klubchef Hannes Schwarz sagte, was sich am Vormittag als Entschuldigung Murggs angehört habe, entpuppe sich am Nachmittag als das Gegenteil. Murgg habe nur sagen wollen, dass seine Wortwahl nicht richtig gewesen wäre. Das habe es in diesem Landtag noch nicht gegeben, dass ein Mandatar Diktatoren verteidige. Klubchefin Klimt-Weithaler – am Dienstag nicht anwesend – sei aufgefordert, Konsequenzen zu ziehen.

Der von Grünen und Neos eingebrachte Entschließungsantrag – Verurteilung des Angriffskriegs Russlands und dessen Annexion der vier ukrainischen Oblasten beziehungsweise Bekenntnis des Landtags zur Helsinki-Schlussakte – wurde einstimmig angenommen – auch Murgg stimmte zu. (APA, 18.10.2022)