Das Wohngebäude in der Nähe von Koblenz wurde im Mai fertiggestellt, es hat neun Stockwerke, die Balkone hängen an Stahlseilen.

Foto: Gropyus

Die Wandelemente werden vollautomatisch in der Fabrik vorproduziert.

Foto: Gropyus

Auf der Baustelle werden die Bauteile dann in wenigen Wochen montiert.

Foto: Gropyus

In der Nähe der deutschen Stadt Koblenz wurde im vergangenen Mai ein neunstöckiges Gebäude fertiggestellt. Es hat 54 Wohneinheiten und wird gerade an einen Investor verkauft, die Wohnungen werden vermietet. Was klingt wie ein relativ alltäglicher Wohnbau, ist es nur auf den ersten Blick. Geplant und errichtet wurde das Gebäude nämlich in nur elf Wochen vom österreichisch-deutschen Unternehmen Gropyus, es ist das erste realisierte Projekt des 2019 gegründeten Start-ups.

Dieses hat sich nichts Geringeres zum Ziel gesetzt, als das Bauen zu revolutionieren. Dabei setzt man auf serielle Holz-Hybrid-Bauweise. Sämtliche Prozesse sind vollständig digitalisiert, nach einem selbstentwickelten System, das ziemlich weit reicht – nämlich bis zum späteren Betrieb des Gebäudes samt eigenem Betriebssystem für die Steuerung der Wohnungen. So will man "die gesamte Wertschöpfungskette abdecken", wie Gropyus-Mitgründer Bernd Oswald sagt. "Wir wollen nicht bei der Schlüsselübergabe aufhören." Das Gebäude in Koblenz wird deshalb auch nach dem Verkauf von Gropyus weiter verwaltet oder betrieben werden; "living as a service" nennt sich das.

Kein Architekt nötig

Bei der Planung ist ein Architekt nicht mehr nötig. Die einzelnen Bestandteile des Hauses – vor allem natürlich die Wohnungen und diverse Erschließungsflächen – werden bei Gropyus zuvor in einer Software zusammengesetzt bzw. "konfiguriert". Dabei lässt sich auch ein vorhandener Bebauungsplan akkurat mit Kubatur füllen, erklärt Oswald und schachtelt am Laptop Modul auf Modul. Zurückspringende Dachebenen sind kein Problem, alles lässt sich wie beim Bauen mit Bauklötzen mit Leichtigkeit auf- und übereinanderstapeln. Weil man mit dem System bald auch international so richtig durchstarten will, müssen natürlich auch die unterschiedlichen Bauordnungen in den verschiedenen (Bundes-)Ländern berücksichtigt werden. "Unser typisiertes System orientiert sich deshalb an der strengsten Bauordnung."

Vorgefertigt werden die Holzriegelwände dann in einer Fabrik im deutschen Richen, volldigital und vollautomatisch mithilfe von Robotern. Durch diese serielle Fertigung kann "höchstmögliche Skalierbarkeit" erreicht werden, es können also theoretisch hohe Stückzahlen an Wohneinheiten binnen kurzer Zeit gebaut werden. Auf der Baustelle werden die Bauteile dann in wenigen Wochen an einen Betonkern montiert.

"Leistbar, nachhaltig, barrierefrei"

"Unser Ziel lautet mehrgeschoßiges Wohnen, leistbar, nachhaltig und barrierefrei", sagt Oswald. Der gebürtige Kärntner ist Maschinenbauingenieur und Jurist und war zuvor bei der Cree Gmbh, einem Unternehmen der Vorarlberger Rhomberg-Gruppe und der deutschen Zech-Gruppe, das auch bereits viel mit modularen Holz-Hybrid-Bauten experimentiert hat.

Mit Gropyus will er nun gleich mehrere Probleme und Herausforderungen der Bau- und Immobilienbranche lösen: Den sehr hohen CO2-Ausstoß bzw. "das globale CO2-Problem" der Baubranche, die geringe Produktivität und die schwindende Leistbarkeit. Die Immobilienbranche baue nur Prototypen, diese Kritik gibt es schon lange. Oswald unterstreicht das, spricht aber lieber von "Unikaten". "Denn ein Prototyp sollte ja irgendwann in Serie gehen. Bisher passiert das aber nicht." Stattdessen werde immer noch für jeden Bauplatz neu geplant. "Das ist falsch."

Wiener Städtische als Investor

Nachhaltigkeit will man mit der Verwendung des Baustoffs Holz, mit der generell effizienteren Bauweise sowie mit in die Fassade integrierten Photovoltaikelementen erreichen. In Bau und Errichtung würden 22 Prozent der sogenannten grauen Emissionen vermieden, sagt Oswald.

Für sein Wachstum hat Gropyus erst im März frisches Geld von Investoren bekommen, insgesamt sammelte man bereits 120 Millionen Euro ein. Zu den größten Investoren gehört auch die Vienna Insurance Group. Diese ist bekanntlich an diversen Bauträgern und Immobilienentwicklern beteiligt und bringt im Wiener Nordbahnviertel gerade rund 2000 Wohneinheiten in die Umsetzung. Wird man dort schon irgendwo das Gropyus-System umsetzen? Auf STANDARD-Anfrage nennt man das System jedenfalls "interessant", mögliche Kooperationen werden geprüft, sagt ein Sprecher. "Fixes Kooperationsprojekt ist aber noch keines auf Schiene." Beim Start der Kooperation im Jahr 2021 hat man aber betont, dass man in Gropyus einen "idealen Partner für bezahlbares Wohnen" sieht. Mal sehen, was daraus wird. (Martin Putschögl, 21.10.2022)