Im Gastkommentar widmet sich der Ökonom Fred Luks der Produktivität des Unproduktiven. Er sagt: "Die Verschwendung, das Überflüssige und das Unnütze gehören zum Menschsein." Und: "Ohne Prassen und Vergeuden gibt es kein gutes Leben."

Ein gutes Leben für alle, solche Schilder findet man bei Klimademonstrationen. Aber wie gelingt das?
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Ein aktueller Aufruf zur absichtsvollen Nutzlosigkeit kommt tatsächlich von einem Nobelpreisträger. Anton Zeilinger betont im STANDARD-Interview, dass Forschung "nicht allein aus dem Nutzen definiert werden kann". – Er und seine ebenfalls ausgezeichneten Kollegen seien davon überzeugt gewesen, dass ihre Arbeit "nie für irgendetwas gut sein wird". Nobelpreiswürdige Spitzenforschung – pure Verschwendung!

In derselben STANDARD-Ausgabe schreibt Veronica Kaup-Hasler im Gastkommentar, auch in der Kunst komme Innovation "stets von den Rändern her". Und die Wiener Kulturstadträtin und frühere Kulturmanagerin stellt fest, dass unsere Gesellschaft angesichts der aktuellen Krisen ein "anderes Denken über Begriffe wie Effizienz und Wertsteigerung" brauche, nämlich "jenseits des Ökonomischen, erweitert um eine gesamtgesellschaftliche, soziale Dimension".

Was hier aus der Wissenschaft und der Kultur formuliert wird, betrifft in der Tat die Gesellschaft insgesamt. Wie über Nutzen, Effizienz und Ökonomie nachgedacht wird, macht für unser Zusammenleben einen Unterschied ums Ganze. Spätestens jetzt, da wir am Ende der westlichen Lebensweise angekommen sind, gilt: Die "Zeitenwende" kann sich nicht nur in Militärbudgets widerspiegeln, sondern muss auch im Denken und in politischen, ökonomischen und kulturellen Praktiken ihren Niederschlag finden.

Völlig irrational

Sicher, Effizienz ist wichtig. Sie hat uns reich gemacht. Aber wenn wir es mit ihr übertreiben, macht sie uns ärmer. Angesichts höchst aktueller Knappheiten wäre es verrückt, auf Effizienz zu verzichten. Aber es ist eben auch völlig irrational, Effizienz unhinterfragt über andere Kriterien zu stellen. Wo Effizienz zum Selbstzweck wird, bedroht sie andere Werte, die für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Gesellschaft unverzichtbar sind: zum Beispiel Kreativität, Nachhaltigkeit, Resilienz, Lebensqualität und Sicherheit.

Dass Effizienz ihre Schattenseiten hat, hat sich jüngst besonders nachdrücklich beim Thema Globalisierung gezeigt. Die Brüchigkeit äußerst effizient organisierter Lieferketten hat verdeutlicht, wie wichtig ausreichende Lagerbestände und eine Vielfalt von Zulieferbeziehungen sind. Heute ist es fast schon Mainstream, eine gute Balance zwischen Effizienz und Resilienz zu fordern. Krisenfestigkeit kostet freilich, denn Resilienz erfordert Redundanz – Ressourcen, die ungenutzt bleiben, um im Notfall genutzt werden zu können. Lange Zeit galt das als pure Verschwendung.

"Ohne Prassen und Vergeuden gibt es kein gutes Leben."

Ganz Ähnliches gilt für den Umgang mit der Natur. Gewiss: Effizienzverbesserungen können helfen, Energie und Material zu sparen. Aber erstens haben derlei Verbesserungen ihre Grenzen, denn Einsparungen können paradoxerweise zu Mehrverbrauch führen ("Rebound-Effekt"). Und zweitens ist das Wettrennen zwischen Knappheiten, Effizienzverbesserungen und Wachstum in einer endlichen Welt eine Veranstaltung von begrenzter Haltbarkeit. Auch hier gilt also: Effizienz kann gut sein, birgt aber auch Risiken.

Dazu kommt: Die Verschwendung, das Überflüssige und das Unnütze gehören zum Menschsein. Zugespitzt: Ohne Prassen und Vergeuden gibt es kein gutes Leben. Jedes Fest, jedes Museum, jedes Konzert, jede Fußballweltmeisterschaft zeigt uns das: Es gibt kein Leben ohne Verschwendung – zumindest kein gutes Leben. Dass die Nachhaltigkeitsdebatte mit ihrem moralischen Impetus dies oft ausblendet, gehört zu ihren großen Schwächen. Denn auch wenn Sparsamkeit, Verzicht und Effizienz oft ökologisch sinnvoll sind – am Ende kommt es auf die richtige Balance zwischen Verzicht und Verschwendung an.

Das rechte Maß

Die kopflose Verschwendung von Lebensmitteln und Energie ist nicht nachhaltig – eine Fixierung auf Effizienz oder eine spaßbefreite Geizkultur sind es aber auch nicht. Das heißt, wir brauchen mehr Großzügigkeit – verstanden als das rechte Maß im Umgang mit Ressourcen, Zeit und Geld. Schon bei Aristoteles ist die Großzügigkeit als Freigebigkeit die anstrebenswerte Mitte zwischen der Verschwendung als Übermaß und dem Geiz als Mangel. Eine zeitgemäße Form der Großzügigkeit kennt sowohl Verzicht als auch Verschwendung.

Gute Zukunft

Effizienz zu kritisieren und Verschwendung und Nutzlosigkeit das Wort zu reden – das mag in Zeiten von Corona, Knappheit und Krieg obszön erscheinen. Doch nicht nur nobelpreisprämierte Forschung und zukunftsfähige Kulturangebote brauchen vermeintlich Nutzloses und Ineffizientes. Wenn wir als Gesellschaft eine gute Zukunft wollen, kommen wir an einer Neujustierung von Begriffen wie Knappheit und Effizienz, Begrenzung und Verzicht, Nutzen und Wohlstand nicht vorbei.

Natürlich sind angesichts der aktuellen Krisen auch Dinge wie Effizienz, Sparsamkeit und Verzicht notwendig. Aber sie reichen nicht. Wenn wir Fortschritt wollen, müssen wir Effizienzstreben, Wachstumsorientierung und andere Selbstverständlichkeiten unserer Lebensweise infrage stellen. Corona, Krieg und Klimadesaster machen deutlich, dass sich Grundsätzliches ändern muss, wenn wir gut leben wollen. Unsere Gesellschaft muss das richtige Maß finden – und das heißt auch: Sie muss großzügiger werden. (Fred Luks, 21.10.2022)