Autorin und Mitbegründerin der Pataphysischen Gesellschaft Wien: Raphaela Edelbauer.

Foto: Victoria Herbig

Viele Deutsche unter den Gästen, meint man zuerst. Viele der Stühle sind nämlich mit Handtüchern reserviert. Die Musik ist urlaubshaft tropisch, Aufblasschwimmteile hängen von der Decke, dazu Paddel, Ananasigel locken kulinarisch am Bartresen. Willkommen zum ersten "Pataphysischen Kolloquium" von Raphaela Edelbauer! Der Autorin von "Das flüssige Land" und "Dave" und amtierenden österreichischen Buchpreisträgerin. Neben einer der heißesten Literaturaktien des Landes ist sie auch noch Wissenschaftsnerd. Eine ideale Kombination für Abende wie diesen.

Sie soll es in Zukunft öfter geben. Donnerstagabend fand in der Roten Bar des Wiener Volkstheaters die Premiere statt: Ein kleines Orchester aus Laien gehört zum Strandclub. Erst vor wenigen Wochen gegründet, spielt ein Gutteil der Musikanten und Musikantinnen sein Instrument noch nicht länger. Das hört man. Es klingt schief. Aber charmant. Zwischen den falschen Tönen lassen sich immer wieder richtige erkennen, die "Schöne blaue Donau" kommt gegen Ende sogar richtig gut in Fluss (Leitung: Clemens Wenger).

"Tatkraft eines Hebekrans"

Vom Bühnenrand spendet Gründerin Edelbauer erst mysteriöse Verse: "Es stinkt nach Erkenntnis, der verstand geht äußerln, und das Hirn speibt im Takt." Dann verliest sie das erste Pataphysische Manifest des im März mit Simon Nagy gegründeten Vereins. "Wir können die Welt nicht beißen, weil uns die Zähne ausfallen", schließt sie an dessen Ende. Im Mittelalter seien sie kariös geworden, in der Aufklärung hätten sich Kieferzysten gebildet. So stünden wir nun zahnlos vor den Herausforderungen der Gegenwart. Und die Wissenschaft kann nicht mehr kauen, nur schmatzen. "Retten kann uns nur die Pataphysik." Beziehungsweise die Pataphysische Gesellschaft Wien, eine basisdemokratische Gemeinschaft von Menschen, Tieren und Pflanzen, ausgestattet mit der "Tatkraft eines Hebekrans" und der "Leichtigkeit eines brennenden Zeppelins".

Was Pataphysik ist? Die Wissenschaft von den imaginären Lösungen, wird aufgeklärt. Das heißt, man findet an diesem Abend zahlreiche Lösungen und Erklärungen zu Problemen vor, die sich einem bisher gar nicht offenbart hatten. Etwa gewitzt über Leitplanken und die Anatomie des Steckenpferds (Janus Zeitstein). Oder in einer furiosen Vorstellung dreier lebenshilfreicher Lektüretipps aus den Fachbereichen Geologie, Astronomie und Quantenphysik (KT Zakravsky). Sätze einer Lesung werden auf Zettelchen zufällig gezogen (Jakob Kraner). Die Fabulierkünstler stehen scheinbar Schlange.

Gelehrtes Leerdrehen

Nach über zwei Stunden gehen die Lesungen, schrägen Musikperformances, der fantasievolle Nonsens und das gelehrte Leerdrehen zu Ende. Freude, Konzentration und Wollen stehen den Orchestermitgliedern in die Gesichter geschrieben, sodass auch das Zuschauen eine Freude ist: Das Publikum lacht und tobt. Die Schönheit des leidenschaftlichen Versuchens hat völlig zwangsfreier Kreativitätsausübung die Hand gereicht. Und vielleicht wurde nebenbei sogar wirklich ein Rätsel der Welt aufgeklärt. Ein großer Spaß! (Michael Wurmitzer, 21.10.2022)