Schon jetzt wird Hanf beispielsweise als Dämmmaterial eingesetzt.

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Ohne Beton ginge in der Baubranche heutzutage wenig. Der Baustoff ist günstig und vielseitig einsetzbar. Jedes Jahr werden aus ihm tausende neue Wohnungen, Häuser, Tunnel oder Staudämme gebaut. Gleichzeitig macht der Baustoff die Baubranche aber auch zu einem der größten CO2-Emittenten der Welt. Grund dafür ist vor allem die Zementproduktion, der Grundstoff für Beton, bei der extrem viele CO2-Emissionen entstehen: Weltweit sind es jedes Jahr 2,8 Milliarden Tonnen CO2 und damit fast acht Prozent der globalen Emissionen. Mit dem Bauboom in einigen Entwicklungsländern dürften die Emissionen in der Baubranche in den kommenden Jahren noch weiter wachsen, schätzen Fachleute.

Eine Wende sollen künftig nicht nur eine klimafreundlichere Zementproduktion, sondern auch völlig neue Baumaterialien bringen. Diese sollen nicht nur langlebiger und stabiler als Beton, sondern auch wesentlich klimafreundlicher sein. Eines Tages könnten damit ganze Städte nach dem Vorbild der Natur wachsen – und Gebäude nach langjähriger Nutzung ganz einfach wieder verrotten, glauben einige Forschende. Wie könnten die alternativen Baumaterialien der Zukunft aussehen?

Pilze als Superkleber

Ein für einige Entwickler vielversprechender Baustoff trägt einen etwas sperrigen Namen: Mycelien. So nennen sich die fadenförmigen Zellen eines Pilzes, die mit den Wurzeln einer Pflanze zu vergleichen sind und die so klein sind, dass man sie mit bloßem Auge nicht einmal sehen kann. Normalerweise kommen sie unter der Erde vor, zersetzen alte Bäume und Blätter und versorgen die Pilze mit Nährstoffen. Sie funktionieren aber auch wie ein extrem starker Kleber, der die Erde und organische Materialien zusammenhält.

Diesen Effekt wollen sich Entwickler seit einigen Jahren zunutze machen. Sie wollen die Pilze gezielt auf organischen Abfällen wie Sägespänen oder landwirtschaftlichen Abfällen züchten und daraus innerhalb von wenigen Wochen stabile Ziegel formen. Diese Ziegel sollen, wenn gepresst und getrocknet, nicht nur gut isolieren, sondern auch feuerresistent und eines Tages wieder vollständig kompostierbar sein, versprechen die Entwickler und Entwicklerinnen.

Viele Arten

Pilze gäbe es dafür jedenfalls genug: Weltweit gibt es Schätzungen zufolge zwei bis elf Millionen verschiedene Pilzarten, von denen bisher lediglich rund 150.000 Arten bekannt sind. Je nachdem, welche Pilzart und welches organische Material bei der Herstellung verwendet wird, unterscheiden sich auch Baustoffe, die daraus entstehen, sagen Wissenschafter und Wissenschafterinnen. Die Pilze sollen sich aber nicht nur für die Herstellung von Ziegeln, sondern auch für vielen andere Materialen züchten lassen.

So verkauft beispielsweise das italienische Unternehmen Mogu bereits Fußbodenfliesen und geräuschdämpfende Wandpaneele, die aus Pilzen hergestellt sind. Das britische Unternehmen Biohm stellt mithilfe von Mycelien wiederum Dämmmaterialien her, die Wärme in Gebäuden besser isolieren sollen als die meisten anderen derzeit verfügbaren natürlichen Dämmmaterialien. Und das Projekt Biohab, an dem auch Forschende des MIT mitwirken, will mit Sägespänen, Pflanzen und Pilzen Ziegel in Namibia züchten, um daraus Häuser herzustellen.

In ihrem Video wirbt Biohab für Pilze im Bausektor in Namibia.
Christopher Maurer

Teurer als Beton

Noch befindet sich die Mycelien-Technologie aber erst am Anfang. Die Baumaterialien sind oftmals noch teurer als herkömmlicher Beton. Zudem testen Wissenschafterinnen noch, wie sich das Material künftig noch effizienter herstellen lässt und wie die Baumaterialien noch stabiler werden können. Viele Forschende gehen aber davon aus, dass in der Technologie noch viel Potenzial für die Zukunft schlummert.

So experimentiert etwa die US-amerikanische Defense Advanced Research Projects Agency derzeit gemeinsam mit Forschenden mit Mycelien, um von Naturkatastrophen zerstörte Gebiete schnell wieder aufbauen zu können. Anstatt herkömmliche Baumaterialen zu importieren, sollen Pilzziegel schnell vor Ort wachsen und zerstörte Gebäude ersetzen. Zudem sollen sich die Strukturen bei Schäden selbst reparieren, also gewissermaßen lebende Häuser sein, sagen die Forschenden.

Baustoff Hanf

Aber nicht nur Mycelien, sondern auch andere natürliche Materialien könnten künftig vermehrt als Alternative in der Baubranche eingesetzt werden. Darunter beispielsweise Hanf. Forschende am Rensselaer Polytechnic Institute in den USA stellten dieses Jahr eine Alternative aus Hanf zu Betonstahl vor, der zur Verstärkung von Betonkonstruktionen verwendet wird. Während Betonstahl nach einer bestimmten Zeit zu rosten beginnen kann und damit zu einem früheren Verfall von Brücken oder Gebäuden beiträgt, sollen die aus Hanf gefertigten Rohre wesentlich langlebiger und zugleich klimafreundlicher sein, sagen die Wissenschafter. Denn Hanf bindet extrem viel CO2, ist reißfest und zudem sehr leicht.

Die Wissenschafter verschmelzen dafür die Hanffasern in einer erhitzten Pressform gemeinsam mit Thermoplasten, also Kunststoffen, die sich durch Erwärmung verformen lassen. Daraus entsteht dann eine stabile Stange, die sich in der Bauindustrie verwenden lässt. Zum Einsatz kommt dabei sogenanntes Nutzhanf, das nur eine geringe Menge der psychoaktiven Substanz THC enthält, sehr widerstandsfähig ist und doppelt so schnell CO2 aus der Atmosphäre bindet wie Bäume. Die Forschenden versprechen, dass die Hanf-Technologie bald sogar günstiger als Betonstahl sein könnte.

Wenig angebaut

Schon jetzt werden an einigen Orten auch ganze Häuser aus gepresstem Hanfstroh hergestellt, die äußerlich wie ein gewöhnliches Holzhaus aussehen. Zwar wird für die Bodenplatte und das tragende Gerüst weiterhin Beton benötigt, aber in Summe meist weniger als in herkömmlichen Häusern. Am Ende der Hausnutzung kann der Hanfanteil meist einfach kompostiert werden, versprechen die Entwickler.

Einziges Problem: Der Hanfanbau ist in Europa derzeit noch eher gering. In der EU und Österreich darf Nutzhanf angebaut werden, sofern der THC-Gehalt nicht über 0,3 Prozent liegt. Oftmals sei der Anbau von Nutzhanf aber noch nicht sehr gewinnbringend, sagen die Forschenden des Rensselaer Polytechnic Institute. Sie erhoffen sich, dass Hanfbauern mit den neuen Einsatzmöglichkeiten von Hanf in der Baubranche bald noch mehr Anreiz haben werden, vermehrt Nutzhanf anzubauen – und dass dieser Gebäude bald noch weit klimafreundlicher und langlebiger machen könnte, als sie es derzeit sind.

Andere Alternativen

Freilich gibt es auch eine Reihe von anderen nachwachsenden Rohstoffen, allen voran Holz, die die Klimabilanz von Gebäuden verbessern könnten. Laut einer Studie in der Fachzeitschrift "Nature" könnte Holz sogar dazu beitragen, dass Staaten ihr 1,5-Grad-Klimaziel erreichen. Allerdings sollten die Wälder auch nicht einer Holzbauoffensive zum Opfer fallen, warnen Wissenschafter.

Deshalb setzen Entwickler auf eine Vielzahl weiterer Alternativen, darunter etwa auch Algen oder "lebenden Beton", der aus Sand, Bakterien und Hydrogel erzeugt wird. Wie stark sich diese Alternativen künftig in der Baubranche durchsetzen werden, hängt vor allem davon ab, wie günstig und leicht sie zu produzieren sind, sagen Experten. Fest steht jedenfalls: Herkömmlicher Beton bekommt künftig noch wesentlich mehr Konkurrenz. (Jakob Pallinger, 24.10.2022)