Polizeigewalt gegen singende Sklaven: Im farbenfrohen "West Indies ou les nègres marrons de la liberté" (1979) erzählt Hondo die Geschichte der Sklaverei facettenreich und spielerisch als Musicalspektakel.

Foto: Viennale

Med Hondo (1936–2019): Der Mauretanier ist eine bedeutende Stimme des Kinos Afrikas.

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Med Hondos Wiederentdeckung könnte zeitgemäßer nicht sein. Gerade jetzt, wo sich Hollywood Afrikas Geschichte neu aneignet, sind seine Filme eine unschätzbare Quelle dafür, wie engagiertes, afrikanisches (Diaspo- ra-)Kino aussehen könnte. Er ist einer jener afrikanischen Regisseure, die auf europäischen Filmfestivals selektiert und prämiert wurden und dennoch kaum bekannt sind. Die Viennale zeigt nun die erste, komplette Retrospektive zu Med Hondos Werk.

Geboren wurde er 1936 als Abib Mohamed Medoun Hondo in Mauretanien. Er war Enkel eines Sklaven, wurde als Koch in Marokko ausgebildet und fand Arbeit in Frankreich. Schon früh regte sich sein Gerechtigkeitsgefühl. In einem Interview sagte er 1994 über seinen Großvater: "Er genoss zwar eine gewisse Unabhängigkeit, musste aber seinen Herren gehorchen und ihnen die Hand küssen. Das ist etwas, was mich in diesem jungen Alter zutiefst schockiert hat." Die westliche Zivilisation und mit ihr den Rassismus habe er dann als Koch in Frankreich gewissermaßen durch den Magen kennengelernt.

Poetisch und politisch

Seine Erfahrungen als junger, schwarzer Immigrant in Europa hält er 1969 in seinem Debüt Soleil Ô fest, das poetisch und politisch gleichermaßen ist. Film ist für ihn Ausdrucksmittel, Unterhaltung und Waffe. Wie sehr er "das Kino", dessen Einzahl er immer bemängelte, da er darin eine westliche Dominanz sah, ändern wollte, zeigt sein zweiter Film.

Les Bicots-nègres, vos voisins (1973/74) beginnt mit einem expressiven Schauspielermonolog in einem Kinofoyer voller Filmposter. Kino, wie wir es von den Weißen kennen, sei – und hier schießt Hondos Kamera in Godard-Manier mit drei Pengs und schnellen Schnitten auf: Waffen, Frauenschenkel und Humphrey Bogart – dieses Kino ist "a Girl and a Gun".

Welches Kino für Afrika?

Es hat wenig bis nichts mit afrikanischen Lebensrealitäten zu tun. Warum aber finden diese Filme ein Publikum in Afrika? Aus Protest werden schließlich die Kinoplakate des Foyers abgerissen und verbrannt. Ein Film so offen aktivistisch und dicht an komplexen Themen, dass über ihn im Anschluss diskutiert werden muss. So war es von Hondo gedacht.

Doch dem Regisseur war auch ein Anliegen, dass seine Filme gesehen werden. Er kritisierte die westlichen Distributionssysteme, die es ihm erschwerten, seine Filme unter die Menschen zu bringen. Und das, obwohl er sich auch in publikumsfreundlicheren Genres herumtrieb. West Indies ou les nègres marrons de la liberté (1979) etwa ist ein Big-Budget-Musical mit dem Ziel, "das Konzept der musikalischen Komödie von seinem amerikanischen Markenzeichen zu befreien".

Musical über Sklavenhandel

Das Set ist ein Sklavenschiff, aufgebaut in einer Citroën-Fabrikhalle: Industrialisierung und westlicher Wohlstand sind schon im Szenenbild untrennbar mit der Ausbeutung Afrikas verbunden, so der antikoloniale und darin immer auch kapitalismuskritische Gestus Hondos. Der Film thematisiert die kulturelle und wirtschaftliche Logik des Jahrhunderte andauernden Sklavenhandels, und Hondo seziert diesen in all seinen Komponenten: von der völkermörderischen Gier bis hin zur Kollaboration.

Aber es ist eben auch ein farbenfrohes Musical: Busby Berkeley trifft auf Jarman oder Ottinger, möchte man fast nicht sagen, sagt es dann aber doch, weil Hondo sich – bei aller Kritik – freudvoll an den Genres des Westens bedient und diese auf den Kopf gestellt hat.

Eine scheinbar typisch französische Kriminalstory ist Lumière Noire (1993). Korruption, Terrorismus, Immigration und Abschiebung werden mit geringsten Mitteln zu einem spannenden Thriller verstrickt. Doch als sein Meisterwerk gilt Sarraounia (1986), ein Kriegerinnen-Epos im Breitbildformat über die Königin und Schamanin Sarraounia von Azna. Drei Millionen Franc kostete der Film, gedreht wurde statt in Niger in Burkina Faso. Vom afrikanischen Festivalpublikum in Ouagadougou wurde Sarraounia begeistert rezipiert, in Frankreich lief er lediglich zwei Wochen in fünf Kinos, was zu solidarischem Protest unter französischen Filmschaffenden und Intellektuellen führte.

Nicht unparteiisch

Über die Gründe des Misserfolgs bleibt zu mutmaßen: Einerseits handelt es sich bei Hondos Adaption des Romans von Abdoulaye Mamani um Geschichtsverdrehung – Sarraounia siegte nicht, wie im Film beschrieben, gegen die französische Militärexpedition Voulet-Chanoine, sondern verlor; andererseits porträtiert Hondo die Franzosen als blutrünstige Wilde. Das war dem französischen Publikum wohl nicht geheuer.

Ja, Hondo, der erst 2019 verstarb, war nicht unparteiisch in seinem Blick auf Afrika, Europa, Kapitalismus und Kolonialismus. Er stellt sich immer auf die Seite der Unterdrückten. Wenn aber die schöne Algerierin Fatima im gleichnamigen Film (2004) ihren senegalesischen Vergewaltiger heiratet, um zum Symbol panafrikanischer und muslimischer Freundschaft zu werden, darf man sich auch mal an den Kopf greifen. Gelegentliche Streitbarkeit ist jedoch Programm bei Hondo, denn seine Filme sind in ihrem Anspruch, etwas, was bisher niemand gezeigt hat, sichtbar zu machen, immer vielschichtig und anregend. (Valerie Dirk, 23.10.2022)