Laut Neos-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger würden von einer weiteren Senkung der Lohnnebenkosten alle profitieren. AK und ÖGB sehen das traditionsgemäß anders – und orten eine Gefährdung der sozialen Sicherheit.

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"Wir wollen, dass unserer Mitarbeiter mehr verdienen, aber weniger kosten." Der ehemalige Neos-Abgeordnete und jetzige Unternehmer und Hotelier Josef Schellhorn findet drastische Worte, wenn es um die Inflationskrise geht. Zwar relativierte er im Zuge einer Pressekonferenz am Montag seine Aussage dahingehend, dass Mitarbeiter "zumindest nicht mehr kosten" sollen – die Dramatik aber bleibt. Auch der bei der Pressekonferenz gemeinsam mit Schellhorn auftretenden Neos-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger sind die Maßnahmen der Regierung nicht genug. Sie kritisiert allen voran die ÖVP, die aufgrund der Korruptionsvorwürfe nicht "beide Hände" frei habe und dadurch die "wirklich wichtigen Themen" wie Teuerung, Krieg und Energiekrise übersehe.

Anstelle von Einmalzahlungen solle das Einkommen der Arbeitnehmer gestärkt werden. Folgerichtig fordert Meinl-Reisinger eine Senkung beziehungsweise staatliche Übernahme der Lohnnebenkosten. Konkret solle es sich dabei um nichtarbeitnehmerbezogene Leistungen handeln, die jährliche Einsparungen von neun bis zwölf Milliarden Euro ermöglichten. Dies würde etwa Abhilfe bei den derzeit laufenden Lohnverhandlungen schaffen, argumentiert die Neos-Klubobfrau. Durch das Entlastungsvolumen würde es möglich sein, die Nettolöhne bei annähernd gleichbleibenden Kosten für die Unternehmen um fünf bis sieben Prozentpunkte zu erhöhen – eine Win-win-Situation also. Doch so einfach geht die Rechnung nicht auf, schenkt man den Bedenken der Arbeitnehmervertreter Glauben.

Eine Gefährdung der sozialen Sicherheit

Denn im Gegensatz zu den Behauptungen, eine Senkung würde den Faktor Arbeit entlasten und so allen Beteiligten Vorteile verschaffen, kritisierten Vertreter der Arbeitnehmer in der Vergangenheit mehrfach, eine Senkung würde ausschließlich den Unternehmen zugutekommen. Arbeitnehmer würden nicht entlastet, sondern deren soziale Sicherheit gefährdet werden.

Schließlich finanzieren die Lohnnebenkosten einen wesentlichen Teil des österreichischen Sozialsystems, merken Arbeiterkammer und der Österreichische Gewerkschaftsbund richtigerweise an. Rund 34 Prozent der Sozialausgaben wurden 2020 durch Sozialbeiträge der Arbeitgeber finanziert. Die Abgaben der Arbeitgeber sind zweckgebunden, fließen daher direkt in die Arbeitslosen-, Pensions- und Unfallversicherung. Auch das Urlaubs- und Weihnachtsgeld, die Wohnbauförderung oder auch bezahlte Urlaube und Krankenstände werden aus den Arbeitgeberbeiträgen finanziert. Was also würde eine Senkung der Lohnnebenkosten für das Sozialsystem und damit schlussendlich auch für die Bevölkerung bedeuten?

Ein paar Prozent für 8,9 Milliarden Euro

Dafür muss man sich zuerst die konkreten Forderungen der Neos im Detail ansehen. Für ein Entlastungsvolumen von 8,9 Milliarden Euro jährlich sieht die Forderung folgendermaßen aus:

  • Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) auf 3,0 Prozent senken
  • Arbeitslosenversicherungsbeitrag (ALV) auf 2,3 Prozent senken
  • Unfallversicherungsbeitrag (UV) auf 0,8 Prozent verringern

Der FLAF-Beitrag dient der Finanzierung der wichtigsten Familienleistungen. Die Rede ist von Familienbeihilfe, Kinderbetreuungsgeld, Schülerfreifahrt und Co. Derzeit macht der Beitrag 3,9 Prozent der Sozialstaatbeiträge der Arbeitgeber aus. In der Vergangenheit wurde er bereits mehrfach gesenkt, ab 2023 beträgt er nur noch 3,7 Prozent. Den Neos reicht das nicht, sie schlagen eine weitere Senkung um 0,7 Prozentpunkte vor.

Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gehören mit den derzeitigen drei Prozent ebenfalls zu den bedeutenderen Arbeitgeberabgaben und dienen dem Schutz der Beschäftigten und deren Familien. Sie bleiben 2023 von Senkungen verschont; Meinl-Reisinger hingegen fordert eine Senkung um 0,7 Prozentpunkte auf 2,3 Prozent.

Zudem legt das Neos-Modell nahe, den Unfallversicherungsbeitrag zu reduzieren. In der Vergangenheit wurde auch er bereits mehrmals gesenkt, derzeit beträgt er 1,2 Prozent. Mit 2023 verringert er sich um weitere 0,1 Prozent – den Neos nicht genug, sie verlangen eine Senkung auf 0,8 Prozent. Hier dürfte die Forderung allerdings auf heftigen Widerstand stoßen: Vergangenen Juni wurde auf dem Blog der Arbeiterkammer bereits bei der geplanten Senkung von 0,1 Prozentpunkten gewarnt, die Unfallversicherung würde keine weitere Beitragskürzung mehr hinnehmen können.

Unvorhersehbare Effekte

Unterm Strich sollen die mit 2023 startenden Senkungen der Lohnnebenkosten etwa 600 Millionen Euro jährlich einsparen. Die Forderungen der Neos belaufen sich im Gegensatz dazu auf knapp neun Milliarden Euro. Würde man alle "Nicht-Versicherungsleistungen" aus den Lohnnebenkosten streichen und ins Budget umschichten, würden gar zwölf Milliarden Euro eingespart, heißt es vonseiten der wirtschaftsliberalen Partei. Bleibt die Frage, wie die so fehlenden Einnahmen kompensiert werden könnten.

Möglichkeiten dafür liefert eine Studie des Wifo aus dem Jahr 2020. Dabei analysierten die Studienautoren zahlreiche Faktoren zur Lohnnebenkostensenkung; auch anhand von Länderbeispielen. Die Schlussfolgerung: Eine Senkung der Arbeitgeberbeiträge kann sich positiv, wenn auch nur moderat, auf die Wirtschaftsleistung sowie die Beschäftigung auswirken. Allerdings sind auch unerwünschte Verteilungseffekte möglich. In Deutschland etwa wirkten sich die Änderungen im Sozialsystem spürbar auf die Absicherung bestimmter Risikogruppen aus. So stieg die allgemeine Armutsgefährdung, besonders aber jene der Pensionisten.

Auffällig ist den Studienautoren jedenfalls, dass alle Reformen eine Gegenfinanzierung etablierten. Diese reicht von einer Erhöhung der Mehrwertsteuer über ökologische Steuerreformen bis hin zu höheren Verbrauchssteuern. Unterm Strich kann wohl festgehalten werden: Die Forderung einer Senkung der Lohnnebenkosten klingt zwar unkompliziert und verlockend; die tatsächliche Umsetzung sowie die sozialpolitischen und gesellschaftlichen Auswirkungen sind jedoch deutlich komplexer und kaum vorhersehbar. (Nicolas Dworak, 25.10.2022)