Der Ausbildner schaut hin, der Rekrut provokanterweise zurück: In "Eismayer" kommen sich der Vizeleutnant Eismayer (Gerhard Liebmann, li.) und sein Soldat (Luka Dimiċ) bald auch anders näher.

Foto: Golden Girls Film

Dem militärischen Ausbildner eilt sein schlechter Ruf voraus. Die jungen Rekruten beim österreichischen Bundesheer stehen in Reih und Glied, doch auch ihre stramme Haltung kann die Nervosität nicht verbergen. Als Eismayer dann erscheint, folgt der Drill wie das Amen im Gebet. Die Szenen, in denen sich sein Gesicht zur Fratze verzerrt, ohrenbetäubendes Geplärre sich Bahn bricht, stellen so etwas wie die Basslinie in David Wagners Debütfilm dar. Eine, die fraglos konterkariert werden wird.

Der heute 40-jährige Wagner hörte vom richtigen Charles Eismayer bereits, als er noch selbst zum Militär ging: "Horrorgeschichten" über seine Wutausbrüche und Strafmaßnahmen (etwa Liegestütze unter der eiskalten Dusche) verliehen dem damaligen Vizeleutnant eher fragwürdigen Legendenstatus. 2014 stieß er dann auf die Hochzeit des inzwischen geouteten Mannes. Eismayer hatte sich in Mario Falak, einen ehemaligen Rekruten, verliebt. Noch dazu einen mit migrantischen Wurzeln, also einen, den er selbst gern als "Tschusch" verunglimpft hatte.

Widersprüche behalten

Dass diese Geschichte "bigger than life" sei, sagt Wagner im STANDARD-Gespräch, das habe er gleich realisiert. Bis daraus jedoch ein Spielfilm werden konnte, brauchte es mehrere Anläufe. Die Widersprüche, die in dieser Liebesgeschichte liegen, wollte er nicht ausbügeln. "Wenn ich mir Brokeback Mountain anschaue, habe ich zwei schwule Cowboys vor mir, die schönsten Cowboys ever. Der Eismayer und seine Lebensgeschichte sind aber ein Chaos; er bewegt sich in diesem militärische Rahmen, in dem alles darauf ausgerichtet, das eigene Schwulsein zu unterdrücken."

Eismayer erzählt vom aufreibenden Prozess dieses Coming-outs. Nicht nur das Ambiente des Heeres – gedreht wurde an Originalschauplätzen – ist ungewöhnlich, sondern schon der Fokus auf den von Gerhard Liebmann verkörperten Ausbildner selbst. Wagner sei es darum gegangen, hinter einen Archetypus zu gelangen, und zwar jenem des sadistischen Drill-Sergeants Hartman aus Stanley Kubricks Full Metal Jacket. Der genießt in Armeen inzwischen eine ähnliche Vorbildfunktion wie Tony "Scarface" Montana für Kriminelle im Drogengeschäft.

Liebmanns Darstellung, die zwischen machistischer Überzeichnung und jäh aufreißender Verletzlichkeit changiert, ist eine der großen Stärken des Films. Im Heer ein Choleriker, wirkt Eismayer bei seiner Familie wie ein eingeschüchtertes Tier; seine homosexuellen Fantasien lebt er gelegentlich im Umfeld der Kaserne aus. Es liegt nahe, in der überspannten Männlichkeit seines Berufs-Ichs auch einen Akt der Kompensation zu sehen.

Eismayer sei noch in einer Zeit aufgewachsen, stimmt Wagner zu, in der ein Mann heterosexuell zu sein hatte – etwas anderes war nicht vorgesehen. "Deshalb wurde er ins Militär gesteckt. Dort hat er jedoch realisiert, dass er in dem System gut kann. Weil er es liebt, Befehle zu bekommen, zu funktionieren." Liebmann hat bei Eismayers Drill bewusst das theatrale Moment forciert. Die Ausbildner würden ja auch dort eine Rolle spielen: "Sie gleichen einem Hirtenhund, der eine Schafherde zusammenhält."

Der Antagonist, der Eismayers oft auch ins Homophobe überschießenden Part durchschaut, ist der neue Rekrut Mario Falak. Der Deutsch-Kroate Luka Dimić spielt ihn konfrontativ: ein offen zu seiner Homosexualität stehender Quergeist, der seinen Vorgesetzten langsam aus der Reserve lockt.

Durch seine Beharrlichkeit bringt er die unterdrückte Seite in Eismayer zum Vorschein. Diese Annäherung sei am delikatesten gewesen, weil sie nur graduell erzählt werden konnte. "Ich wollte einen Menschen zeigen, der wirklich zu sich steht", sagt Wagner, "Der so tut, als wäre es ihm egal, was die anderen denken. Gegen jeden Widerstand: herzlich, ehrlich, verletzlich."

Flexibilität gefragt

Wagner hat sein Handwerk über zehn Jahre lang an etlichen Positionen beim Film gelernt, unter anderem auch als Assistent bei Stefan Ruzowitzky. Danach hat er an der New Yorker Tisch School und in Hamburg ein Regiestudium nachgeholt. Man fange dennoch immer wieder bei null an, sagt er zum Eismayer-Dreh, bei dem viel Flexibilität gefragt war.

Die Dreherlaubnis kam so kurzfristig, dass er mit Kameramann Serafin Spitzer oft erst am Set die Szenen entschieden habe. Eine Kooperation, bei der er ins Schwärmen kommt: "Wir wollten, dass sich die Bundesheerwelt und diese chaotische Gefühlswelt auch in den Bildern widerspiegelt."

Dass sich queere Themen zuletzt öfter im heimischen Kino wiederfinden, führt Wagner auf ein endlich verändertes Bewusstsein zurück. "Inzwischen entdeckt man schon in jungem Alter, dass es ein viel breiteres Spektrum an Möglichkeiten gibt. In der Sexualität, in Geschlechteridentitäten." Weil Österreich gerne etwas langsam sei, hinkt man zwar nach. Doch im Kino gibt es eindeutige Impulse, Filmschaffenden wie Gregor Schmidinger (Nevrland) oder demnächst auch Clara Stern (Breaking the Ice) bilden die Vielfalt einer neuen Generation ab: "Die Zeit ist reif", sagt Wagner. "Ich feiere das." (Dominik Kamalzadeh, 27.10.2022)