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Eine Ölpumpe in Kalifornien: Der Verbrauch fossiler Energien wird schneller schrumpfen als gedacht, prognostiziert die Internationale Energieagentur.

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Es ist die Furcht vor dem nächsten kalten Winter, die Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) veranlasste, nach Abu Dhabi zu reisen. Gemeinsam mit Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) wurde er dort vorstellig, um die Abhängigkeit Österreichs von russischem Erdgas zu verringern. Das Ergebnis: Die Lieferung einer Schiffsladung Liquified Natural Gas (LNG) für den nächsten Winter wurde vereinbart. Beziehen wird das Gas die OMV. Die Menge entspricht dem Jahresverbrauch von 65.000 Haushalten mit Gasheizung. Dass als Ersatz für russisches Erdgas in vielen Ländern wieder mehr Kohle verbrannt wird, sehen Experten nur als temporäres Phänomen. Im globalen Energiemix werde der Anteil fossiler Energieträger von rund 80 auf 60 Prozent im Jahr 2050 zurückgehen.

Putins Krieg und die Energiewende

Russlands Präsident Wladimir Putin hat seinem Land mit dem Überfall auf die Ukraine wohl mehr und vor allem nachhaltiger geschadet, als dies Militärstrategen voraussehen konnten. Nicht genug damit, dass die Exporte von Öl und Gas, die einzig nennenswerten Einnahmequellen Russlands, stark geschrumpft sind; es wird auch kein Zurück in die Zeit vor dem 24. Februar geben, dem Tag des Einmarschs in der Ukraine, sollte der Krieg irgendwann enden.

Das zumindest ist die Botschaft, die in dem am Donnerstag von der Internationalen Energieagentur (IEA) publizierten World Energy Outlook 2022 mitschwingt. In dem 524 Seiten starken Prognosewerk, das dem STANDARD vorliegt, springt die in Paris ansässige Organisation gleich mehrfach über ihren eigenen Schatten bzw. wirft sie frühere Aussagen über den Haufen.

Energiemärkte im Umbruch

So stellt die Denkfabrik der Industriestaatenorganisation OECD ziemlich klar das schnelle Ende des fossilen Zeitalters in Aussicht. "Die russische Invasion in der Ukraine verändert die Energiemärkte nicht nur vorübergehend, sondern für Dekaden", stellt etwa IEA-Vorsitzender Fatih Birol fest. Der gebürtige Türke hat unter anderem an der Technischen Universität Wien studiert und eine Zeitlang auch für die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) gearbeitet. Weiter sagt Birol: "Die politischen Entscheidungen, die wir registrieren, sprechen für eine dramatische Transformation der Energiewelt direkt vor unseren Augen."

Die IEA, die von den Industrieländern als Reaktion auf den ersten Ölpreisschock 1972 eingerichtet wurde, galt nie als ausgewiesener Freund der globalen Energiewende. Im Gegenteil: Das Analysehaus der OECD musste sich oft den Vorwurf gefallen lassen, das Potenzial erneuerbarer Energien zu unterschätzen, ja geradezu kleinzureden. Das hat sich in den vergangenen Jahren stark geändert. 2016 sahen die Experten der IEA erneuerbare Energien erstmals "auf dem Vormarsch".

Historischer Wendepunkt

Nun zeichnet sich nach Ansicht der Pariser Organisation ein historischer Wendepunkt ab. Zwar würden die klimaschädlichen Energieträger Öl, Gas und Kohle nicht binnen weniger Jahre bedeutungslos. Nun scheint aber klar, dass der Verbrauch fossiler Energie, der seit Beginn der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert stetig gewachsen ist, noch in diesem Jahrzehnt in eine Stagnationsphase übergehen und dann langsam sinken wird.

"Zum ersten Mal zeigen die Prognosen für jeden einzelnen fossilen Brennstoff in allen Szenarien des World Energy Outlook eine Verbrauchsspitze oder ein Plateau", heißt es im aktuellen Energiebericht. Basis der Prognose sind die weltweit getroffenen Regierungsbeschlüsse der jüngsten Zeit, das sogenannte Stated Policies Scenario. Wird dieses wie geplant umgesetzt, sei damit zu rechnen, dass der weltweite Kohleverbrauch schon in den nächsten Jahren den Höhepunkt erreicht haben wird und beim globalen Gasverbrauch dies um das Jahr 2030 der Fall sein wird, heißt es im Bericht. Für die globale Ölnachfrage rechnen die IEA-Statistiker Mitte der 2030er-Jahre mit dem Überschreiten des Peak. "Das bedeutet, dass die Gesamtnachfrage nach fossilen Brennstoffen ab 2025 Jahr für Jahr um eine Menge zurückgeht, die der Produktionsmenge eines großen Ölfelds entspricht", schreiben die Autoren.

Anspruch und Wirklichkeit

Trotz ihres rasanten Wachstums haben es die erneuerbaren Energien in den vergangenen Jahrzehnten nicht geschafft, mit dem Wachstum der weltweiten Energienachfrage Schritt zu halten. Weltweit konnten erneuerbare Energien erst 2019 mit dem zehnprozentigen Anteil von Atomstrom gleichziehen. Allein seit 1990 hat sich der weltweite Verbrauch fossiler Energieträger aber von 300 auf über 500 Exajoule (knapp 140.000 Terawattstunden) fast verdoppelt.

Jetzt dürfte ausgerechnet Putin dafür sorgen, dass die Umstellung auf Erneuerbare rascher vonstattengeht, weil Russland als weltweit größter Exporteur fossiler Rohstoffe mit seinem Angriffskrieg eine weltweite Rückbesinnung auf heimische Energien ausgelöst hat. Seit die fossile Supermacht Energie als Waffe und Erpressungsmittel einsetzt, sind Kernenergie, Wind-, Solar- und Wasserkraft weltweit wieder extrem stark im Kommen.

2000 Milliarden Dollar pro Jahr

Die IEA verweist auf Programme wie "Fit for 55" in Europa, den Inflation Reduction Act der USA oder Japans "GX-Programm" für eine grüne Transformation: "Diese Programme erhöhen die Ausgaben für saubere Energien bis 2030 weltweit auf über 2000 Milliarden US-Dollar pro Jahr, also mehr als 50 Prozent."

Dass als Ersatz für russisches Erdgas aktuell in vielen Ländern wieder mehr Kohle verbrannt wird, sehen die IEA-Experten nur als temporäres Phänomen. Im globalen Energiemix werde der Anteil fossiler Energieträger von aktuell rund 80 Prozent auf 60 Prozent im Jahre 2050 zurückgehen. Im Kampf gegen die Erderwärmung gibt es damit Hoffnung, auch wenn die Geschwindigkeit der Transformation wohl noch erhöht werden müsste. (Günther Strobl, 27.10.2022)