Am Praterstern treffen viele soziale Gruppen aufeinander. Zahlreiche Maßnahmen sollen für mehr Sicherheit sorgen.

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Begrünte Wohlfühloase oder gefährlicher Brennpunkt? Irgendwo zwischen diesen beiden Polen ist der Wiener Praterstern, seines Zeichens ein riesiger Kreisverkehr mit S-Bahnhof, U-Bahn-Kreuz, Straßenbahn- und Bushaltestellen in der Mitte, anzusiedeln. Wie konträr seine unterschiedlichen Seiten sind, das wurde diese Woche besonders deutlich.

Denn am Dienstag und Mittwoch kam es, wie berichtet, am Praterstern kurz nacheinander zu einem sexuellen Übergriff mit Handtaschenraub und einer Messerstecherei. Das Areal wurde durch diese Gewalttaten seinem schlechten Ruf gerecht. Diesen versucht die Stadt Wien seit Jahren mühevoll zu beseitigen: Die jüngste Maßnahme dafür war die großangelegte Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes im Sommer. Dabei wurden die Grünflächen auf 8.000 Quadratmeter verdoppelt, 56 Bäume gepflanzt und 330 Nebel- sowie Wasserdüsen installiert. Anfang September eröffnete zwischen den Gleisen und den neuen Beeten sogar ein vegetarisches Lokal mit Gastgarten.

Die Bemühungen um einen Wandel dauern schon länger an. Bereits vor dem Umbau waren 2016 eine mobile Videoüberwachung, 2018 ein Alkoholverbot (ausgenommen sind Gastrobereiche) und 2019 eine Waffenverbotszone eingeführt worden.

Grafik: APA/DER STANDARD

Zur Messerstecherei hält sich die Polizei derzeit bedeckt: Ein Verdächtiger und Zeugen seien einvernommen worden, es gebe "erste Ermittlungsansätze", hieß es am Donnerstag auf STANDARD-Anfrage. Im Missbrauchs- und im Raubfall hat die Exekutive unterdessen zwei Zwölfjährige aus Syrien identifiziert, die dem 18-jährigen Opfer Tasche und Handy abgenommen haben sollen. Nach einem Unbekannten, der auf einer Toilette eine junge Frau missbraucht haben soll, sowie einer weiteren Person, die vor der Tat wegging, wird noch gesucht.

Ist das nun ein Rückschlag für die angestrebte Aufwertung des Pratersterns? Und welche Dynamiken sind dort gegenwärtig zu beobachten? DER STANDARD lässt dazu Vertreterinnen und Vertreter aus fünf Gruppen zu Wort kommen, die den vieldiskutierten Ort seit Jahren kennen und beobachten.


  • Polizei: Weniger Obdachlose, mehr Jugendliche

Ein Hotspot ist der Praterstern aus Sicht der Wiener Polizei nicht mehr – zumindest in Sachen Kriminalität. "Von den Straftaten her ist die Lage relativ entspannt. Es ist eher ein sozialer Brennpunkt", sagt eine Sprecherin. Konkrete Zahlen über Aufkommen und Art der Delikte kommuniziere die Exekutive aber nicht. Das Geschehen haben die Beamtinnen und Beamten von einem grauen Zubau am Vorplatz im Blick. Nach rund sechs Jahren ohne eigene Wache am Praterstern zog die Polizei im Frühling 2021 in das neu errichtete Gebäude ein.

Täglich sind zwei Streifen zu Fuß unterwegs, dazu kommen Funkstreifen im Auto – die im Notfall rasch zur Stelle sein können. Das Alkoholverbot habe das Publikum rund um den Bahnhof verändert, sagt die Polizeisprecherin: "Die Obdachlosenszene ist etwas weniger geworden. Mittlerweile sind viele Jugendliche vor Ort, die dort abhängen." Darunter seien Personen mit Migrationshintergrund und neuerdings vermehrt Mädchen. Zwar komme es allen voran innerhalb dieser Gruppen immer wieder zu Vorfällen. Darunter leide aber auch das Sicherheitsgefühl von Unbeteiligten.


  • Sozialarbeit: "Wenige marginalisierte suchtkranke Personen"

Als "durchaus ruhig" beschreibt Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, die aktuelle Lage am Praterstern. Er ist zuständig für die mobile Sozialarbeit, die dort täglich stattfindet: Von Montag bis Sonntag sind zwei Teams aus je zwei Personen rund um den Bahnhof unterwegs – und bieten Unterstützung an. Derzeit würden sich "wenige marginalisierte, suchtkranke Personen" am Praterstern aufhalten, sagt Lochner. "Diese können durch kontinuierliche Beziehungsarbeit der Kolleginnen und Kollegen an die Angebote des Sucht- und Drogenhilfenetzwerkes angebunden werden."

Jeder habe das Recht, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten und sich dort wohlzufühlen, betont Lochner. Dabei sei aber eines wichtig: "Man muss sich klar an die Regeln halten, damit ein friedliches Mit- und Nebeneinander funktioniert." Das Alkoholverbot habe definitiv die Aufenthalte in Kombination mit Konsum verringert, sagt er. Und der Umbau? "Wir stellen fest, dass es jetzt mehr Sitzmöglichkeiten gibt, die von den unterschiedlichsten Zielgruppen gut genutzt werden."


  • Politik: Bezirkschef Nikolai machen die Vorfälle zornig

Thematisieren, aber nicht dramatisieren – so ließe sich der Zugang des Leopoldstädter Bezirkschefs Alexander Nikolai zu gewalttätigen Auseinandersetzungen am Praterstern zusammenfassen. "Ich bin zornig über Vorfälle wie Messerstechereien. So etwas gehört verfolgt und verurteilt", sagt der SPÖ-Politiker. Den schlechten Ruf, der dem Areal wegen derartiger Vorkommnissen anhafte, den habe dieses aber nicht verdient, betont er. Die Wurzel dafür sieht Nikolai unter anderem in der Berichterstattung: "Wenn es einen Vorfall gibt, dann wird er medial groß verbreitet – und der Praterstern als Bedrohung gesehen."

Vielmehr solle das Gelände um den Bahnhof als Knoten- und Treffpunkt wahrgenommen werden. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war für Nikolai der im Sommer fertiggestellte Umbau: "Der Praterstern ist dadurch viel übersichtlicher, offener und einsichtiger geworden. Da kann nichts Verstecktes passieren." Die Rückmeldungen aus der Bevölkerung seien durchwegs positiv, sagt Nikolai. Sollte sich dennoch herausstellen, dass Nachbesserungen nötig seien, sei er dafür offen.


  • Verkehrsbetriebe: Sicherheitsgefühl in den letzten Jahren verbessert

"Es ist ein Verkehrsknotenpunkt, an dem viele verschiedene soziale Gruppen zusammentreffen", sagt ÖBB-Sprecher Daniel Pinka. Am Praterstern halten sowohl Züge der ÖBB als auch Verkehrsmittel der Wiener Linien. Leider könne es an so einem Ort zu Konflikten kommen. Sowohl ÖBB als auch Wiener Linien betonen, dass es eine enge Kooperation untereinander sowie mit der Polizei und der Sozialarbeit gebe, um für möglichst große Sicherheit zu sorgen.

In den letzten Jahren habe es weniger Vorfälle gegeben, die das Sicherheitsgefühl dort trüben würden, sagt Pinka. Der für Sicherheitsthemen zuständige ÖBB-Sprecher hält fest, dass das subjektive Sicherheitsgefühl aufgrund hoher Sicherheitsstandards in den Bahnhöfen hoch sei. Vielmehr würden die Probleme aus der Umgebung in den Bahnhof hineingetragen. Im Bahnhofsgebäude sei Sicherheitspersonal der ÖBB unterwegs, das auch Bodycams verwende, diese hätten eine deeskalierende Wirkung. Zusätzlich gibt es Videoüberwachung. Der Bahnhof Praterstern wurde ab 2004 komplett modernisiert – mit dem Ziel, keine dunklen Ecken entstehen zu lassen.


  • Gastro und Handel: Betriebe haben "andere Probleme"

Die Aufregung um Zwischenfälle am und rund um den Praterstern kommt Martin Schöfbeck bekannt vor. Der Wirtschaftskammer-Bezirksobmann des zweiten Bezirks war in der Leopoldstadt in den Neunzigerjahren Bezirksrat und erinnert sich, dass der Praterstern immer schon ein sozialer Brennpunkt war. "Eine Zeitlang war es besser, und es wird auch wieder abebben", sagt Schöfbeck. Jetzt rechnet er mit erhöhter Polizeipräsenz, dadurch werde sich alles auf den Floridsdorfer Spitz, dann den Keplerplatz, dann Am Schöpfwerk, dann Wien Mitte verlagern – "und dann wieder zu uns". Vor allem Jugendliche, die sich treffen und Spannungen suchen, seien das Problem. Obdachlose würden selbst gern ihre Ruhe haben, meint der Wirtschaftsvertreter.

Die Betriebe im und um den Bahnhof hätten in letzter Zeit keine Probleme gemeldet. "Solche Vorfälle sind tragisch, aber sie sind für die Wirtschaft dort kein Thema. In Zeiten wie diesen hat man das Gefühl, die Betriebe wollen ihre Ruhe haben. Sie haben schon genug andere Probleme mit den Strom- und Gaspreiserhöhungen", ist Schöfbeck überzeugt. (Stefanie Rachbauer, Gudrun Springer, 27.10.2022)