Im Gegensatz zu Christian Diors Schwester Catherine verhielt sich Coco Chanel (das Foto zeigt sie im Jahr 1937) in politischen Dingen geschmeidig opportunistisch.

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Eine solche Metamorphose war selbst in der Welt der Mode selten. Gabrielle Chasnel, 1883 in ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen, die das s in ihrem Nachnamen strich, ihren Vornamen durch "Coco" ersetzte, sich von der Schneiderin zum Inbegriff der Pariser Mode hocharbeitete, starb 1971 hochbetagt – und weltbekannt.

Nun ist die Literatur über Chanel, die zu anderen oft so emotional gnadenlos war wie zu sich selbst, die nicht einsam sein konnte und von Liebe zu Liebe sprang, die das Leben genoss und mit immensem Fleiß arbeitete, groß, ja gewaltig. Jeder Aspekt ihres Lebens, ihrer Mode, ihrer Gefühls- und Lebenswelt ist beleuchtet. Was will da ein Band über "Coco Chanels Riviera"?

Anne de Courcy, "Coco Chanels Riviera. Vom Lieben, Leben und Überleben an der Côte d’Azur". Übersetzt von Elke Link. € 25,70 / 384 Seiten. Insel, Berlin 2022
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Luxus und Leben

Vor allem eines vermag die Buchautorin Anne de Courcy: das mondäne Leben an der französischen Riviera zwischen der Mitte der Zwanziger- und dem Ende der Dreißigerjahre zu vergegenwärtigen, mit Luxus, Glanz, Glamour. Mitten darin Chanel, die sich 1928 in Roquebrune eine Villa bauen ließ; später nannte sie einen Duft nach dem Haus, "La Pausa". Sonne, Meer, Hedonismus, hie und da kulturelle Tupfer in Gestalt von Cocteau, Picasso oder Maugham, apolitische entgrenzte Méditerranée: Leben in der Provence, einst.

Ab 1940 verschwand alles. Chanel schlug sich geschmeidig opportunistisch durch. Sie war amourös mit einem deutschen Geheimdienstoffizier verbunden und wohnte mitten in Paris, im Hotel Ritz, in dem fast alle anderen Etagen von Deutschen okkupiert waren. Auch das ist hinlänglich bekannt. Ebenfalls, dass sie als eine von sehr wenigen Pariser Couturiers ihr Modehaus schloss und erst 1954 wiedereröffnete.

Leichtlebigkeit des Jazz-Age

Die Engländerin de Courcy, die einige Bücher über Britanniens Prominente schrieb, versteht es vor allem, die Leichtlebigkeit der englischen Oberschicht fein nachzuzeichnen. Mehr und mehr gerät dabei allerdings die Titelgeberin in den Hintergrund und ist am Schluss fast verschwunden. Dies ist weniger eine Chanel-Monografie als ein Buch, das das pittoreske Leben englischer "happy few" vom Jazz-Age bis zum Kriegsausbruch detailanekdotisch nachzeichnet.

Wie Anne de Courcy ist Justine Picardie lange in Großbritannien journalistisch tätig gewesen. Die frühere Chefredakteurin der britischen Ausgabe des Hochglanzjournals Harper’s Bazaar schrieb vor Jahren ein Buch über Chanel. Nun rekonstruiert sie das Leben von Catherine Dior, der 1917 geborenen Schwester des um zwölf Jahre älteren Christian Dior.

Das Besondere an Catherine Dior: Sie schloss sich 1940 einer französischen Widerstandsgruppe, der F2, an, war in Paris aktiv, bis nach und nach das gesamte "réseau", das Résistance-Netz, aufflog. Sie wurde verhaftet, gefoltert und nach Deutschland in KZs verschleppt, erst nach Ravensbrück, dann in zwei weitere, am Ende wurde sie, fast schon tot, in einer Munitionsfabrik bei Leipzig befreit. Und nach 1945 in Frankreich mit hohen Orden ausgezeichnet.

Justine Picardie, "Miss Dior. Eine Geschichte von Courage und Couture". Übersetzt von Helmut Ettinger. € 26,80 / 416 Seiten. Aufbau, Berlin 2022.
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Dior bleibt ein Schatten

Picardies Bild der Résistance-Arbeit, vor allem aber des Frauenlagers Ravensbrück ist dicht, bedrückend und über weite Passagen beklemmend intensiv. Nur: Sie stützt sich dabei auf Autobiografien anderer überlebender Frauen. Catherine Dior sprach niemals über diese Zeit, weder mit Zeitungsreportern noch im Familien- oder Freundeskreis. Und das ist das Grundproblem der in für eine angelsächsische Journalistin ungewöhnlich schwelgerischer, ja gefühliger Prosa verfassten Darstellung. Catherine Dior ist und bleibt dabei durchweg ein Schatten.

Zieht man nüchtern ab, was sie über Christian Dior – mutmaßlich kreierte er den Duft "Miss Dior" inspiriert von und durch Catherine, die Blumen liebte –, seine Mode, seine Kundinnen schreibt und streicht alle Erinnerungen anderer, die merkwürdig oft ohne Nachweis zitiert werden, so bleibt über Catherine so wenig übrig, dass es kaum mehr als eine Broschüre ergibt.

Blumen züchten, Andenken pflegen

Die letzten 50 Jahre ihres Lebens – Catherine Dior starb 2008 und überlebte ihren berühmten Bruder um mehr als ein halbes Jahrhundert – verbrachte sie in der Provence, auf ihrem kleinen Anwesen in Callian, kümmerte sich um Prestige und museales Erinnern Christian Diors, züchtete aber in erster Linie Blumen, die ins nahe Grasse geliefert wurden, um daraus Parfum herzustellen. Auch "Miss Dior". (Alexander Kluy, 29.10.2022)