Zum Schreiben kommt Autorin Natalka Sniadanko seit Kriegsausbruch kaum. Schon aus psychischen Gründen, aber auch, weil sie über die Ukraine aufklärt.

Kateryna Slipchenko

Nicht erst mit Der Erzherzog, der den Schwarzmarkt regierte, Matrosen liebte und mein Großvater wurde (Haymon, 2021) bewies die in Lwiw/Lemberg geborene Natalka Sniadanko, dass sie Humor hat. Vom Kriegsausbruch im Heimatland wurde sie in Polen überrascht, derzeit lebt sie als "Writer in Residence" im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Bei den Europäischen Literaturtagen hält sie den Eröffnungsvortrag.

STANDARD: Noch vor Kriegsbeginn wurden Sie zu den Europäischen Literaturtagen eingeladen, die unter dem Motto "Komik und Krise" stehen. Können Sie in der aktuellen Situation Komik erkennen?

Sniadanko: Tatsächlich wurde dieser Krieg zu Beginn oft als Krise bezeichnet. Aber es ist keine Krise, auch kein Konflikt. Es ist ein Krieg. Es wäre natürlich schön, über eine positive Zukunft zu reden, wenn man wie ich in Marbach sitzt, wo keine Bomben fallen. Aber es betrifft uns alle, es gibt keine Möglichkeit, das abzuspalten und ruhig zu schlafen. Mit Komik hat das wenig zu tun.

STANDARD: In den westlichen Medien war immer wieder begeistert die Rede vom widerständigen Humor der Ukrainerinnen und Ukrainer. Ist das nicht eigentlich zynisch?

Sniadanko: Man gewöhnt sich sehr schnell an den Krieg. Nicht nur hier, sondern sogar mitten im Kriegsgebiet. Dann fallen schon mal scherzhafte Sprüche wie: Heute gab es ja nur Luftalarm, aber keine Raketen. Oder: Gut, es gab zwar Raketen, aber nur zwei! Da ist viel Galgenhumor dabei. Die Situation hat allerdings auch etwas Aberwitziges: Eine Bekannte von mir hatte ein Stipendium in den USA, beschloss jedoch, mit der Familie zurückzukehren. Das Kind kam in den Kindergarten, und das Erste, was meine Bekannte bekam, war ein Zettel: Wie bereitet man das Kind auf einen Atomangriff vor. Ich bewundere, wie sie trotz allem ihren Mut und Humor bewahrt.

STANDARD: Ihre Bücher bevölkern exzentrische Figuren und sie haben so kuriose Titel wie "Frau Müller hat nicht die Absicht, mehr zu bezahlen". Wie wichtig ist Humor beim Schreiben?

Sniadanko: Humor war für mich immer sehr wichtig beim Schreiben. Er ist vor allem notwendig, wenn man über so eine tragische Geschichte schreibt wie die ukrainische. Humor hilft, Distanz zu schaffen, und ermöglicht es, unnötiges Pathos zu vermeiden. Noch wichtiger als Humor ist Selbstironie, ohne die kann man, denke ich, keine guten Texte schreiben.

STANDARD: Wie blicken Sie als Schriftstellerin folglich auf die Situation in der Ukraine derzeit?

Sniadanko: Ich kann momentan nicht an einem neuen Roman arbeiten, schon aus psychischen Gründen. Aber auch aus zeitlichen: Solange das Interesse an der Ukraine nicht nachgelassen hat, versuche ich, es aufrechtzuerhalten – mit meinen Büchern, Aufsätzen, Interviews. Langfristig wäre es wichtig, einen echten Dialog zwischen dem Westen und der Ukraine zu starten. Ich wünsche mir, dass das zumindest etwas Positives aus diesem Krieg sein wird. Die Ukraine darf nicht länger ein weißer Fleck sein, die postkoloniale Weltordnung, in der sich alles auf Russland zentriert, muss ein Ende haben.

STANDARD: Auch Ihr jüngster Roman "Der Erzherzog, der ..." vom vergangenen Jahr bekommt vor diesem Hintergrund eine andere Bedeutung.

Sniadanko: Schon zum Erscheinen wurde der Roman als ein Werk rezipiert, das von der gemeinsamen Geschichte Europas und der Ukraine erzählt, die von der Sowjetunion mehr oder weniger ausradiert wurde. Eben zu dem Zweck, die postkoloniale Weltordnung zu schaffen, die nach wie vor existiert. So gesehen funktioniert der Roman als literarische Gebrauchsanweisung für die Ukraine.

STANDARD: Frauen und ihre Emanzipationsversuche sind zentrales Thema in Ihren Romanen. Hat sich die Rolle der Frauen durch den Krieg verändert?

Sniadanko: Frauen haben sich schon vor der Invasion militärisch beteiligt, aber erst jetzt wird ihr Beitrag in der Armee halbwegs anerkannt. Früher konnten sie zum Beispiel nicht offiziell Scharfschützinnen sein: Sie wurden als Krankenschwestern eingestellt und entsprechend bezahlt. Gleichberechtigung auf sowjetische Art. Auch dort wurde immer stolz proklamiert, dass Frauen gleichberechtigt seien – aber auch wenn sie studieren oder arbeiten konnten, hieß das nicht, dass sie die Hausarbeit vernachlässigen durften. Im Westen gab es Emanzipationsbewegungen. Bei uns ist das immer noch erklärungsbedürftig, weil die Frauen doch angeblich schon alle Rechte haben. Dazu kommt die Religion mit ihrem konservativen Frauenbild, die in der Sowjetunion verboten war und jetzt sehr angesagt ist. Es war lange tabuisiert, über Frauenrechte zu sprechen, erst kurz vor dem Krieg änderte sich das. Aber ich fürchte, wir werden einen großen Backlash erleben, schließlich spielt das Geschlecht nun so eine große Rolle: Nur Frauen dürfen ja seit Kriegsbeginn ausreisen. Und die Frauen, die jetzt in der Armee sind, werden ja trotzdem nicht so ernst genommen. Sie bekommen nicht einmal passende Kleidung und müssen unser Land in riesigen Männerstiefeln verteidigen. (Andrea Heinz, 28.10.2022)