Auf dem Hügel von Montmartre lebten früher die armen Leute. Dann kam die Kirche. Gestritten wird seit Baubeginn im 19. Jahrhundert.

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Marmorweiß strahlt sie über Paris, unübersehbar auf ihrem Hochsitz des Montmartre-Hügels, unverwechselbar mit ihren vier römisch-byzantinischen Kuppeln. Die Basilika Sacré-Cœur (Herz Jesu) ist ein Wahrzeichen vom Kaliber des Eiffelturms; jährlich zieht sie elf Millionen Touristinnen und Touristen an, am zweitmeisten unter allen Pariser Monumenten. Einzelne mögen den Bau nicht und lästern über das "stillose Zuckerbäckerwerk". Aber alle müssen einräumen, dass die Aussicht von ihrer Esplanade über die Dächer der Lichterstadt atemberaubend ist.

So scheint es nur normal, dass die von 1873 bis 1923 erbaute Großkirche wie 50.000 andere Gebäude in Frankreich endlich unter Denkmalschutz kommt. Der Stadtrat von Paris hat dies Mitte Oktober ganz pragmatisch entschieden: So steigen die Zuwendungen des Staates an den Unterhalt von 20 auf 40 Prozent.

Die linke Ratshälfte läuft aber seither Sturm dagegen. Die Kirche sei ein reaktionäres Protzwerk gegen die Pariser Kommune, sagte die Abgeordnete Danielle Simonnet von der Partei der "Unbeugsamen". Ihr Parteichef Jean-Luc Mélenchon brachte die Dinge via Twitter auf den Punkt: "Dieser Bau verherrlicht den Mord an 32.000 füsilierten Kommunarden." Der Volksaufstand der Pariser Kommune war im Mai 1871 von der Armee blutig niedergeschlagen worden. Die Kommunarden, deren Todesopfer heute eher auf 6.500 bis 10.000 geschätzt werden, brachten selbst – obschon viel weniger zahlreiche – Kirchenleute um, darunter ihre wichtigste Geisel, den Pariser Erzbischof Georges Darboy.

Das "büßende Frankreich"

Zum Gedenken daran begann zwei Jahre später auf Drängen royalistischer Katholiken der Bau von Sacré-Cœur. Die Arbeiten sollten über 40 Jahre lang dauern. Was weniger bekannt ist: Die ersten Pläne für die Kirche datieren von Jänner 1871, also aus einer Zeit vor der Kommune. Sacré-Cœur sollte ursprünglich an ein noch wichtigeres Geschichtsereignis erinnern – die Französische Revolution von 1789, die dem Klerus einen hohen Blutzoll abverlangt hatte. Nicht von ungefähr lautet die zentrale Inschrift unter der größten Sacré-Cœur-Kuppel: "Gallia poenitens" – das "büßende Frankreich".

Die zwei Worte machen die Basilika zu einem Erinnerungsort für die Opfer der antiklerikalen Verfolgung. Anders die Anhänger der Revolution und ihrer Menschenrechtserklärung. Sylvie Braibant, Vorsteherin des Vereines der (heute noch 2.500) "Freunde der Kommune", sieht in dem Marmorbau ein Symbol für den "Kampf zwischen dem reaktionären und dem revolutionären Frankreich". Die Entscheidung des Pariser Stadtrats, das Kirchenhaus als Denkmal anzuerkennen, bedeute nichts anderes als "die Beerdigung der Revolution" von 1871, aber auch von 1789.

Für die Linke ein "Schandmal"

Deshalb verabscheut die französische Linke Sacré-Cœur bis heute. Die Kirche ist für sie ein Schandmal auf einem Hügel, der stolz ist auf seine aufmüpfige Tradition und Mentalität. Auf Montmartre hatte das "petit peuple", das kleine Volk, gelebt; von dort war der Aufstand der Kommune ausgegangen. Der Historiker Paul Chopelin räumt in der katholischen Zeitung "La Croix" ein, Sacré-Cœur sei "nicht bloß ein Postkartensujet, sondern ein Monument des Bürgerkrieges". Er ruft dazu auf, die beiden Seiten sollten "nicht alten Hass kultivieren, sondern versuchen, den schrecklichen Verlauf zu analysieren". Der Aufruf verhallt ungehört.

Sacré-Cœur polarisiert bis heute, obschon der Monumentalbau längst zum Stadtbild gehört, für Touristen gar zu ihrem romantischen Bild. Die Kommunistische Partei gibt hingegen nicht auf: Sie appelliert an Kulturministerin Rima Abdul-Malak, Sacré-Cœur den Denkmalschutz von Staats wegen zu verweigern. Ihr Vorgesetzter, Präsident Emmanuel Macron, dürfte sich dem Beschluss des Pariser Stadtrats allerdings kaum widersetzen. (Stefan Brändle, 1.11.2020)